Autor Thema: Adler  (Gelesen 2281 mal)

gummibaum

Adler
« am: Juni 01, 2014, 15:58:46 »
Im weiten Kreisen hochgetragen,
als hättest du gar kein Gewicht,
schwebst du auf Schalen großer Waagen
aus Luft im blauen Himmelslicht.

Und bist im Blick doch ganz geerdet,
der spitzt sich, wenn das Bild sich regt,
ein warmes Leben sich gefährdet,
unwissend Beutezeichen trägt.

Dann schürzt du deine großen Schwingen,
fällst wie ein Meteor, ein Stein,
und spreitest sie, gleich Messern dringen
die Krallen in dein Opfer ein.

Und hebst dich schwer, die Flügel schlagen,
als dröschen sie aus Luft das Korn.
Dann wird das Sterben fortgetragen,
gesichert für des Schnabels Dorn.
  

Nach Vorschlägen von Erich überarbeitet:


Adler

In weiten Kreisen hochgetragen,
als fesselte dich kein Gewicht,
schwebst du, enthoben dumpfen Lagen,
im lichten Blau der hohen Schicht.

Dein Blick jedoch ist ganz geerdet,
er spitzt sich, wenn das Bild sich regt,
ein warmes Leben sich gefährdet,
vergessend Beutezeichen trägt.

Dann schürzt du deine großen Schwingen,
fällst wie ein Meteor, ein Stein,
und spreitest sie. Gleich Messern dringen
die Krallen in dein Opfer ein.

Du hebst dich schwer, die Flügel schlagen,
die Beute windet sich im Pelz.      
Dann wird das Sterben fortgetragen
zum Horst, kaum sichtbar, hoch im Fels.

 


« Letzte Änderung: August 14, 2014, 20:13:28 von gummibaum »

cyparis

Re:Adler
« Antwort #1 am: Juni 02, 2014, 15:38:50 »
Lieber Gummibaum,


ich Faulpelz mache es mir wieder einfach:

wenn ich das mit so manchen "Adler"-Gedichten vergleiche:

Haushoch überlegen.

Dein Wortschatz, v.a. in Bezug auf nicht mehr so gebräuchliche Ausdrücke, erfreut mich immer und immer wieder.


Herzlichen Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Curd Belesos

Re:Adler
« Antwort #2 am: Juli 28, 2014, 10:35:44 »
ein warmes Leben sich gefährdet,
unwissend Beutezeichen trägt.

moin moin Gummibaum,

ein begnadeter Künstler ist, wer sich so auszudrücken weiß. Sehr gerne gelesen.

Lieben Gruß
Curd
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

Daisy

Re:Adler
« Antwort #3 am: Juli 28, 2014, 22:51:52 »
Lieber Gummibaum,

ich kann mich nicht erinnern, dass ich je zuvor ein so poetisches Adler-Gedicht gelesen hätte.

Es ist großartig, wie man jeden Moment dieser Szene so miterleben kann, als sähe man den gesamten Ablauf direkt und hautnah in der Natur.

Danke für dieses Erlebnis!

LG Daisy

Jana

Re:Adler
« Antwort #4 am: Juli 28, 2014, 22:55:54 »
Hallo gummibaum,

du malst mal wieder ein wunderschönes Bild. Besonders die erste Strophe mag ich sehr gerne.
Kompliment!

Liebe Grüße
Jana

gummibaum

Re:Adler
« Antwort #5 am: August 03, 2014, 13:16:51 »
Oh, hier habe ich lange nicht nachgeschaut und bin mit Dank im Verzug. Sorry. Es tut gerade gut, eure Zeilen zu lesen, denn ich habe eine Stunde lang nur Staub gesaugt, um den Schattenseiten des Sommers - Spinnweben, Fliegen- und Falterresten - den Weg ins Jenseits zu ebnen.

Schönen Sonntag!
LG gummibaum
 

Erich Kykal

Re:Adler
« Antwort #6 am: August 03, 2014, 21:05:14 »
Hi, Gum!

Ich habe lang überlegt, ob ich dieses Gedicht kommentieren sollte, denn ich wollte dich nicht irgendwie mittels Ehrlichkeit kränken. Für mein Empfinden reicht es nicht an viele andere deiner Werke heran, auch wenn zeilenweise großartige Bilder winken. Hier - nach meinem Ermessen - die Gründe dafür:



Im weiten Kreisen hochgetragen, Hier erwartet man: "In weiten Kreisen...". Deine Version ist natürlich nicht falsch, führt aber zu zeiteiliger Verwirrung.
als hättest du gar kein Gewicht, Betonungsfehler oder Hebungsprall: "als hättest du gar kein Gewicht" - "als hättest du gar kein Gewicht" Unschön.
schwebst du auf Schalen großer Waagen In diesem Bild sehe ich keinen logischen Sinn. Und für ein Bild des Gleichgewichthaltens scheint es mir einfach zu weit hergeholt.
aus Luft im blauen Himmelslicht.

Und bist im Blick doch ganz geerdet, "bist im Blick...geerdet" erscheint sprachlich etwas linkisch. "Dein Blick jedoch ist ganz geerdet" erscheint mir eloquenter formuliert.
der spitzt sich, wenn das Bild sich regt,
ein warmes Leben sich gefährdet, Diese Zeile finde ich sehr gelungen.
unwissend Beutezeichen trägt. Auch hier ein Betonungsproblem. Bei natürlicher Betonung hätte die Zeile einen betonten Auftakt. Mit unbetontem Auftakt gelesen erscheint die Zeile unnatürlich, gezwungen.

Dann schürzt du deine großen Schwingen,
fällst wie ein Meteor, ein Stein, Gut beschrieben.
und spreitest sie, gleich Messern dringen Nach "sie" würde ich hier einen Punkt, einen Bindestrich oder einen Dopelpunkt setzen. Ein Komma erschint mir dort inhaltlich unnatürlich.
die Krallen in dein Opfer ein.

Und hebst dich schwer, die Flügel schlagen, Das "und" am Satzbeginn ist ohnehin problematisch, hinzu kommt der weit gespannte Bezugsbogen zurück nach Anfang Z3 der Vorstrophe.
als dröschen sie aus Luft das Korn. Auch dieses Bild will so gar nicht funzen bei mir im Kopp. Der Raubvogel als metaphorischer Erntehelfer? Sorry, da sehe ich so gar keine Schnittmenge...
Dann wird das Sterben fortgetragen, Meine Lieblingszeile nach lyrischen Maßgaben.
gesichert für des Schnabels Dorn. Mittelprächtig. "gesichert" klingt nach Security, und "des Schnabels Dorn" als Bild für eine Mahlzeit wühlt nicht eben angenehme Bilder auf, die Art des "Speisens" betreffend. So wird mir das Tier kaum zum Sympathieträger.


Natürlich beruhen die monierten Punkte eher auf persönlichem Geschmack als auf klaren Fehlern, und der Geschmack nur einer Person ist mit Sicherheit kein objektives Bewertungskriterium. Dennoch wollte ich dir meine Meinung nicht vorenthalten.

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 03, 2014, 21:41:35 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Adler
« Antwort #7 am: August 03, 2014, 21:29:32 »
Lieber Erich,

erst einmal danke für die große Mühe, die du dir gemacht hast. Ich bin nicht so leicht vor den Kopf zu stoßen, und wenn Kritik von Könnern kommt, natürlich dankbar. Ich habe den Kommentar schon mal überflogen und sehe, dass du wohl in allem recht hast. Eine Überarbeitung kann ich nicht sofort vornehmen, da ich gerade noch mit anderem beschäftigt bin.

Gute Nacht
LG gummibaum

Phoenix-GEZ-frei

Re:Adler
« Antwort #8 am: August 04, 2014, 07:21:13 »
Hallo lieber gummibaum,

dein Adler Gedicht hat es mir angetan.

Außergewöhnlich!

Dieser Bezug zwischen Mensch – Wirken und
diesen majestätischen Flieger inmitten - Natur.
Die Verknüpfung zweier Arten.
Öffnetet eine Tür, die ich als „Seelenpforte“
zeichnen würde.
Großartig!

Du warst der Anlass, dass ich mich dem Adler
gedanklich schenkte.

Leider kann ich es nicht besser formulieren.

Herzlichen Gruß
Vom Phönix

Zusatz:

Erich Analyse zeigt an wie ästhetisch,
Sprache gewichtet werden kann.

Erich Kykal

Re:Adler
« Antwort #9 am: August 04, 2014, 10:25:48 »
@ Phönix - Sprache wird nicht "ästhetisch gewichtet" (Das Gewichten an sich ist kein ästhetischer Akt), sie wird "nach ästhetischen Gesichtspunkten gewichtet". Das Komma, gehört nach "an" hin, nicht nach "ästhetisch"! Der Satz lautet also richtig:

Erichs Analyse zeigt an, wie sehr Sprache nach ästhetischen Gesichtspunkten gewichtet werden kann.

Bedenke immer, was genau du aussagen willst und wie du dies klar formulieren kannst.

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Adler
« Antwort #10 am: August 14, 2014, 12:50:24 »
So, es hat etwas Zeit gebraucht, bis ich Lust und Zeit für die Korrekturen hatte. Sorry. Hoffentlich hat es sich etwas gelohnt. Die letzte Strophe (insbes. Pelz) gefällt mir aber noch nicht ganz. Falls ihr diese Zweitfassung akzeptiert, substituiere ich die Erstfassung durch sie. LG g


Adler

In weiten Kreisen hochgetragen,
als fesselte dich kein Gewicht,
schwebst du, enthoben dumpfen Lagen,
im lichten Blau der hohen Schicht.

Dein Blick jedoch ist ganz geerdet,
er spitzt sich, wenn das Bild sich regt,
ein warmes Leben sich gefährdet,
vergessend Beutezeichen trägt.

Dann schürzt du deine großen Schwingen,
fällst wie ein Meteor, ein Stein,
und spreitest sie. Gleich Messern dringen
die Krallen in dein Opfer ein.

Du hebst dich schwer, die Flügel schlagen,
die Beute windet sich im Pelz.      
Dann wird das Sterben fortgetragen
zum Horst, kaum sichtbar, hoch im Fels.
« Letzte Änderung: August 14, 2014, 20:16:00 von gummibaum »

cyparis

Re:Adler
« Antwort #11 am: August 14, 2014, 13:12:10 »
Lieber Gummibaum!

Falls ihr diese Zweitfassung akzeptiert, substituiere ich die Erstfassung durch sie.

Bitte nicht!
Wenn Du mir einen Gefallen erweisen möchtest, setze die zweite Fassung darunter.
Erstens wäre es sehr schade, ginge die Erstfassung verloren,
zweitens können beide Fassungen durch den Vergleich nur gewinnen und
drittens kann ich Dein Redigieren so viel besser würdigen!


Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Adler
« Antwort #12 am: August 14, 2014, 18:36:13 »
Hi, Gum!

Eine Kleinigkeit ist mir noch aufgefallen:

S2Z2 - Dieses unelegante "der" eingangs der Zeile ist ein Relikt der Erstfassung, als die Zeile darüber noch anders lautete. Ein "er" wäre nun sprachlich viel gediegener und genauso klar.

Ansonsten bin ich jetzt rundum zufrieden! ;) :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Adler
« Antwort #13 am: August 14, 2014, 20:17:15 »
Danke für lieben Antworten, Cyparis und Erich.

LG gummibaum