Autor Thema: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)  (Gelesen 1193 mal)

Erich Kykal

Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« am: April 19, 2020, 15:55:47 »
Abgenutzt und rostbeladen,
ausgedient und hochbejahrt,
unterm Kiel kein halber Faden,
geht das Schiff auf letzte Fahrt.

Und ein letztes Mal seit Jahren,
von zu vielen Reisen wund,
wird mit Volldampf angefahren
direkt auf den festen Grund.

Tapfer hebt es sich am Schlamme,
trägt sich auf das letzte Land,
und begräbt wie eine Ramme
sich zuletzt im dunklen Sand.

Knarrend stöhnt der Kiel ein Beben
durch den leeren Laderaum,
fast als ende hier ein Leben
am zernarbten Ufersaum.

Wie ein alter Wal gestrandet,
geht sein letzter Atem aus.
Ausgebrannt und angelandet,
leer wie ein verlassnes Haus.

Kleine Menschen wie Maschinen
schwärmen aus auf seiner Haut,
fleißig wie bemühte Bienen
hämmern sie und schneiden laut.

Kein Gedanke an sein Dienen,
ein Erinnern, das in ihm
und in wehmutsvollen Mienen
reuig aufzugehen schien.

Dies zum Dank für seine Treue,
all die Stürme, die es ritt:
Eisen für das glänzend Neue,
für das Alte: Einen Tritt!

Wo die Rümpfe ölig bluten,
wie ein Opfer dargebracht,
würdest du kein Bild vermuten,
das im Herzen traurig macht.
« Letzte Änderung: April 20, 2020, 11:51:56 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #1 am: April 19, 2020, 23:52:54 »
Hallo Erich,

da steckt genügend Biss in der Wortwahl.
Es sind ja nicht nur die Schiffe, die man "schlachtet", sondern eine endlos lange Liste fügt sich an.
Zwischenmenschlich sieht das nicht anders aus: Man wrackt skrupellos ab und ersetzt. Ein beständiges Erneuern und vernichten von Erfahrung, Wert und Gefühl.
Gerade am Beispiel der Schiffe, fände ich es schön, im Neuen Altes wieder zu verwerten. Meinetwegen in der Inneneinrichtung, oder was auch immer.
Bei Menschen und Beziehungen funktioniert das nicht so einfach. Dort Vergleicht man nur das Alte mit dem Neuen, was irgendwie dem Abwracken gleicht. 

Die Sprache des Gedichtes ist teils ernüchternd, teils älter, der weiblichen Kadenzen wegen - "Schlamme" beißt sich mit "Volldampf", wie mir scheint. Mir geht es nur um die Sprachwirkung und nicht um kausale Zusammenhänge, die in dem Gedicht stimmig sind.

Ob ein Kiel ein Beben knarrend stöhnen kann... Ob man generell ein Beben stöhnen kann, will ich hier gern in Frage stellen.

Verbesserungsvorschläge halte ich dir gegenüber zurück, weil...
Ich sein Schüler.

Sehr entzückend finde ich die letzte Strophe!

Gern gelesen!

vlg

EV


Erich Kykal

Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #2 am: April 20, 2020, 00:37:03 »
Hi EV!

Wir alle sind Schüler - ein Leben lang!  :)

Meine Anregung zu diesem Gedicht ist übrigens ein Song von Mark Knopfler: "So far from the Clyde" - kannst du auf YouTube finden. Sehr empfehlenswert, allein schon, weil er einer der weltbesten E-Gitarristen ist, aber in diesem Fall beschreibt er im Text das Sterben eines Schiffes so eindringlich, dass mir abgebrühtem alten Zyniker tatsächlich die Tränen gekommen sind! Natürlich auf Englisch - aber so du dessen einigermaßen mächtig sein solltest, kann ich dir diesen Song nur ans Herz legen!

Vier seiner Lieder haben mich über die Jahre zum Weinen gebracht! Die anderen drei sind "Brothers in Arms", "Remembrance Day" und "Piper to the End". Kein anderer Musiker hat das je geschafft! Seine Gitarre singt pure Emotion!

LG, eKy
« Letzte Änderung: April 20, 2020, 10:28:40 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #3 am: April 20, 2020, 11:11:35 »
Oh ja, lieber Erich,

die Musik ist wundervoll, ich mag sowas auch sehr, genau mein Ding, ich danke Dir dafür!

Wir sind Schüler ja, ich fände es nur vermessen Vorschläge bei jemanden zu machen, der noch eine Liga über mir steht.
Ich habe das einmal gemacht und wurde eines besseren belehrt, künftig demütig zu sein.

Und ja! Mein Englisch ist fast besser als mein Deutsch, da im Studium das Englische Tagesprogramm war.

vlg

EV
« Letzte Änderung: April 20, 2020, 11:20:11 von Eisenvorhang »

Erich Kykal

Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #4 am: April 20, 2020, 11:14:21 »
Na, dann freue ich mich schon mal auf deine ersten englischen Gedichte!  ;) ;D

Frotzelnde Grüße, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #5 am: April 20, 2020, 11:41:16 »
Ein leviathanisch-sprachstarkes Meisterstück, lieber eKy!
(deshalb schnell ein bisschen kleinliche Detailkritik als Einschub:
- altgedient/ ausgedient: die Wortwiederholung finde ich persönlich nicht so schön - Vorschlag: "Altgedient und rostbeladen / abgeschrieben, hochbejahrt,"
- letzte Fahrt / letztes Mal: noch einmal eine Wortwiederholung, die für mich einfach nicht zum sonstigen sprachlichen Reichtum des Werkes passt; außerdem ein kleiner zeitlicher Sprung, indem in Z. 4 die letzte Fahrt gerade erste beginnt und - quasi im selben Atemzug - in Z.5 schon wieder endet - Vorschlag: "endet jetzt die große Fahrt, / und ein letztes Mal seit Jahren,"
- Z. 13: müsste hinter Kiel kein Komma? Ohne das Komma ist es ein transitiver Gebrauch von "stöhnen", was m. E. zumindest etwas ungewöhnlich ist. )
Und damit genug der Korinthenspalterei... ein wunderbares lyrisches Gemälde!
Meine Verbeugung!
S.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #6 am: April 20, 2020, 11:42:24 »
An Gedichten versuchte ich mich noch nicht, aber etwas Prosa!

Hier:


Andrew:
I'll be honest I don't know where this leaves us?
Come on, hun...

Sarah:
I'll be honest too! I don't even know where this started!

Andrew:
With void and heat, an endless expanse of nothingness.
And then, in an instant, there was that positively vital impulse of creation.
Whether by divine guidance or simple spontaneity of energetic
release, the cosmos unfurled and exploded, creating the very concept of "something" and filling that something
with unending wonder and space. Matter clumped together into bright balls of light
and heat and energy.
Planets spun around them in dizzying dances, and those small specs in the greater
inky black began to pulse with heat and energy and lightning and power.
The right spark at just the right moment...

And there was life. Dividing cells that reproduced and fluorished down
a twisting and winding lineage, until finally simple systems gave way to
increasingly complex ones and humankind gained the ability to look up at the very stars from which
they were born and sigh in miracles and say "Give me one last chance".

Sarah:
No.

Erich Kykal

Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #7 am: April 20, 2020, 11:50:41 »
Hi EV!

Awww - turning him down like that after such a brilliant display of knowledge and education - what a harsh thing to do!  ;) ;D


Hi Suf!

Vielen Dank für den Lorbeer - das knistert so angenehm hinter den Ohren!  ;) :)

Die Wiederholung ist mir gar nicht aufgefallen, danke. Gern ändere ich die Stelle, bloß etwas anders! (mit "und" statt Komma liest sich eine Zeile einfach flüssiger)


LG, eKy
« Letzte Änderung: April 20, 2020, 11:53:25 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #8 am: April 22, 2020, 06:53:18 »
Ein sehr schönes Gedicht, lieber Erich. Ich kann mich mit dem Schiff gut identifizieren.

Mit Freude gelesen.
Gruß gummibaum


Erich Kykal

Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #9 am: April 22, 2020, 12:46:38 »
Hi GUm!

Danke! Solltest du die anderen Kommis nicht gelesen haben: Inspiration war der Song "So Far From The Clyde" von E-Gitarrengott Mark Knopfler. Einer von vier seiner Songs, die mich zum Weinen bringen - und zwar jedesmal, wenn ich ihn höre!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #10 am: April 22, 2020, 19:04:47 »
Ah, danke, Erich. Hab ich inzwischen angehört. Sehr schön.

Erich Kykal

Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #11 am: Mai 05, 2021, 23:02:15 »
Hi Leute!

Freut mich, dass ich zur Verbreitung von Mark Knopflers Musik beitragen konnte. Nach dem Ende von "Dire Straits" war es hier ja etwas stiller um ihn geworden (obwohl er in Kennerkreisen immer bekannt blieb), aber in England und Amerika war er ein gefeierter Solokünstler. Vor 2 Jahren ist er in "Rente" gegangen. Parkinson.

Hab sogar mal ein kurzes englisches Gedicht auf ihn geschrieben. Findet sich hier unter "Fremdsprachliches".

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #12 am: Mai 11, 2021, 18:39:31 »
ja, es macht traurig, Erich und es menschelt. Der Mensch benutzt und bedient sich. Letztlich richtet er sich damit selbst zugrunde. LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #13 am: Mai 11, 2021, 21:18:18 »
Hi Agneta!

Du betrachtest das Gedicht möglicherweise eher nach Umweltschutzprämissen - mir lag primär am Verdichten der Personifikation würdig altgedienter Schiffe, denen allerdings nur in den seltensten Fällen ein würdiges Altenteil als Museumsschiff oder so zuteil wird.
Es erinnert an den Umgang mit dem Alter unter Menschen: Waren früher die Erfahrung und das Wissen alter Menschen (und damit auch diese) gefragt und geehrt, ändert sich heute die materialistisch orientierte Welt so rasch, dass die Lebenserfahrung einer Generation für die nächste bereits großteils überholt ist und damit als "wertlos" erachtet wird.
Fazit: die Alten werden nach einem Leben voller Aufopferung und Arbeit dennoch nicht mehr respektiert und wertgeschätzt und in Sammelzentren mit Sterbebegleitung, sprich Altersheime, abgeschoben, wo sie nicht weiter unangenehm auffallen oder gar irgendwie im Weg sind.  ::)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Mai 11, 2021, 22:45:47 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Schiffsschlachterei (Abwrackzone)
« Antwort #14 am: Mai 11, 2021, 22:46:55 »
genau so meinte ich es, Erich. Ich habe mich schon immer mit Schiffen identifiziert, weil sie, bevor es die Flüge gab, meinen Freiheitsdrang symbolisierten. und ich habe vor längerem schon einmal ein Sonett geschrieben, wo ich einen alten Frachter genauso metaphorisiert habe. ich muss es mal suchen, das Sonett. Oft habe ich schon mit meinem Mann darüber gesprochen, da ja hier viele Alte wohnen, dass man irgendwann nur noch eine Zimmernummer ist. des zählt nicht mehr, was der Mensch war, was er leistete, wie er lebte, wer er war. und das meinte ich mit ausbeuten. Auch Menschen werden so asgebeutet. LG von Agneta