Autor Thema: Geduldsspiel  (Gelesen 956 mal)

Erich Kykal

Geduldsspiel
« am: August 13, 2022, 12:54:21 »
Langmut
ist unser Wind
in den Segeln der Zeit.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Geduldsspiel
« Antwort #1 am: November 23, 2022, 15:49:10 »
Hi eKy!

Dein Sinnspruch (irgendwo zwischen Aphorismus, Epigramm und Senryu angesiedelt), der mit einem schönen und durchaus mehrdimensionales Bild aufwartet. Die "Segel der Zeit" deuten an, dass die Zeit als ein Schiff verstanden werden kann, in dem wir durchs Leben reisen, wobei wir aber offenbar nicht nur als Passagiere fungieren sondern mit Hilfe unseres Langmuts auch für eine externe Antriebsquelle sorgen. Gefällt mir! :)
Ob Dein kurzer Text als besonders Japanisch gelten kann, darüber kann man sicher diskutieren. Am Ende würde ich den Text wahrscheinlich eher in der europäischen Gedankenlyrik verortet sehen, aber allzu engherzig würde ich hier auch wiederum keine Zuweisung aussprechen wollen. :)
Interessant finde ich übrigens, dass man anhand dieses kurzen Stückleins schön über Grenzziehungen (wenn die denn unbedingt sein müssen) zwischen Aphorismus und Kürzestgedicht nachdenken kann. Für mich ist Dein Text, eKy, näher am Gedicht als am Aphorismus, weil (und hier bin ich ganz in der neuhochdeutschen Gedichttradition unterwegs) hier die Zeilenumbrüche so eine gewichtige Rolle spielen. Über die drei Zeilen nimmt die Zeilenlänge kontinuierlich zu und jede Zeile enthält genau einen Schlüsselausdruck (nämlich "Langmut", "Wind" und "Segel der Zeit"). Hierdurch entsteht ein starkes kompositorisches Momentum, welches ein Aphorismus (sofern er sich "un-lyrisch" gibt) so nicht bemühen würde. Als Aphorismus könnte der Text z. B. so aussehen:

Langmut: Unser Wind in den Segeln der Zeit.

Will heißen: Hier würde der Zeilenumbruch nicht als kompositorisches Element genutzt und der Gedanke wird in Form eines Einzeilers dargeboten.

LG!

S.

Erich Kykal

Re: Geduldsspiel
« Antwort #2 am: November 23, 2022, 18:46:18 »
Hi Suf!

Wie du dir denken kannst, versuche ich mich höchst selten, und selbst dann meist nicht ernsthaft, an Sonderformen der Reduktion. Meist nur zur Selbstbestätigung meiner Ansicht, dass bei dieser 'Kunst' nichts weiter dabei ist, und praktisch jeder darin Erfolge zu erzielen vermag, der auch nur einigermaßen fähig ist, sich sinnfördernd zu artikulieren - weil ich eben solche Formen kaum als Lyrik in meinem Definitionsrahmen betrachten möchte.
Gerade der japanische Hype hat mich geärgert, muss doch der Versuch, die Ausdruckskraft, die eine Form NUR in der Sprache hervorbringen kann, in der sie beheimatet ist, eins zu eins in eine andere Sprache zu übertragen, immer letztlich Makulatur oder bemühter Gestus bleiben! Von daher waren und sind mir deutsche Haikus (respektive alle weiteren anhängigen Formen) bestenfalls ein ulkiger Versuch, etwas zu erzwingen, dass sich so nicht generieren lassen KANN.

So zumindest meine Sicht. Daher war der obige Satz auch nie als Versuch gedacht, japanisch zu klingen. Ehrlich gesagt, was genau meine damaligen Beweggründe waren, dies hier zu posten, weiß ich nicht mehr.

LG, eKy
« Letzte Änderung: November 24, 2022, 17:11:56 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Geduldsspiel
« Antwort #3 am: November 24, 2022, 14:44:40 »
Hi eKy!

Ich freue mich auf alle Fälle über Dein kurzes Gedicht - aus welchen Gründen auch immer es entstanden ist und ob es Dir gleich äußerst unlyrisch vorkommen mag! :)

Auch würde ich dem europäischen (oder deutschen) Haiku nicht die Berechtigung absprechen, selbst wenn er dem japanischen Original nicht allzu nahe kommt. Ich kann auch an der englischen Riviera in einem schönen Café eine Black Forest Gateau genießen, selbst wenn sie nur recht entfernte "Ähnlichkeit" mit einer echten Schwarzwälder Kirschtorte hat.

Außerdem hast Du jetzt was angerichtet... nach der Lektüre Deiner Zeilen verspürte ich den unstillbaren Drang ein reduktionistisches Gedicht zu verfassen (und ich bin diesem Drang an anderer Stelle hier auf der Wiese auch unverzüglich nachgekommen... ich hoffe dennoch ehrlichen Herzens, damit Deinen Blutdruck nicht in Wallung gebracht zu haben...

LG!

S.

Erich Kykal

Re: Geduldsspiel
« Antwort #4 am: November 24, 2022, 17:13:08 »
Hi Suf!

Keine Sorge - es hat einen ebenso reduktionistischen Kommi bekommen.  ;) ;D >:D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Geduldsspiel
« Antwort #5 am: Mai 04, 2023, 22:57:36 »
Hallo Erich!

Zeit vergeht von allein? Wenn ja, braucht sie keinen Wind von uns.
Ich überlege, ob man nicht sagen kann:

Langmut
ist der Wind
in den Segeln unserer Zeit

Ist ein Vorschlag.

Dir einen schönen Abend!

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Geduldsspiel
« Antwort #6 am: August 26, 2023, 10:19:59 »
Hi Roc!

Dein Vorschlag verschiebt eigentlich nur den persönlichen Bezug von 'Wind' zu 'Zeit'. 'Wir' bleiben so oder so Teil der Gleichung.

Danke für deine Gedanken.  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.