Autor Thema: Niedergeworfen  (Gelesen 366 mal)

Erich Kykal

Niedergeworfen
« am: April 29, 2023, 16:43:52 »
Wer kennt die Nacht der dräuenden Gedanken,
wo sich die Angst aus Dunkelheit entpuppte,
und sich nur Drachen, blutige, geschuppte,
aus wirren Träumen winden, die entsanken?

Wo Dornen sich um alte Schlösser ranken,
die ewig keine Zuversicht bewohnte,
und jeder Tag, der den Verfall betonte,
den Lebenswillen taumeln macht und wanken?

Was bleibt, was ein Bedauern noch belohnte
mit Aussicht auf ermattete Vergebung?
Der nimmermüde Geist, der sich nicht schonte,

verliert am Ende alles. Das abrupte
Finale tilgt die traurige Entlebung,
die aus dem Dasein in die Seele suppte.
« Letzte Änderung: Mai 14, 2023, 17:42:41 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Niedergeworfen
« Antwort #1 am: April 29, 2023, 19:43:39 »
Lieber Erich,

ein tolles, an Reimen sparsames Sonett.

Ich sehe Albträume, die den Tod als Untergang durch äußere Gewalt (Drachen) oder innere Schwäche (Verfall des Schlosses) mit den Bildern von Märchen und der Sage zeigen. Aus dem Traum heraus tritt die Frage, was überdauern wird und von Schicksal oder Schuld entlastet. (Die Frageform in 2/3 des Textes erhöht das Irreale und vertieft das Ungewisse und Bedrohliche.) Die Antwort im zweiten Terzett ist niederschmetternd. Gar nichts.

"Entlebung" ist eine gewagte Neuschöpfung, und "suppte" scheint mir etwas eklig, da ich es mit Flüssigkeitsaustritt aus eiternden Wunden verbinde.   

S2Z2: keine

Sehr gern gelesen.

LG g

Erich Kykal

Re: Niedergeworfen
« Antwort #2 am: Mai 14, 2023, 17:45:16 »
Hi Gum!

Vielen Dank für die positive Rückmeldung zu einem so negativen Werk. Da musste ich mir wohl mal wieder meinen Lebensfrust von der Seele schreiben!  ::)

Danke auch für das Bemerken des Tippfehlers - ist korrigiert. Leider schreibt mein neuer Laptop kleiner als der alte (auch Bildschirm kleiner ...), und meine Augen werden nicht besser ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Niedergeworfen
« Antwort #3 am: Mai 27, 2023, 17:10:05 »
Hallo Erich,

das "suppte" stört mich. Es passt nicht zu Schlössern und Geister und Drachen.

"Lebenswille" und "Dasein" passen auch nicht wirklich, auch wenn sie inhaltlich notwendig sind.

Stark finde ich die erste Strophe.

Erinnert etwas an: Komm in den totgesagten Park und schau!  Auch dieses Gedicht reflektiert, aber es wirkt sprachlich runder.

Dir einen schönen Tag!

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Niedergeworfen
« Antwort #4 am: Mai 28, 2023, 16:28:31 »
Hi Roc!

Das Gedicht fängt mit sprachlichem Pathos an und verflacht - wie das Leben selbst - zum Ende hin zum Akzeptieren des Unvermeidlichen, so prosaisch und lapidar es auch sein mag. Das beinahe schon kränkelnde 'suppte' besiegelt zuletzt nur den Untergang in Bedeutungslsosigkeit, Beliebigkeit und kalter Entropie.

Danke fur den Rilkevergleich!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.