Autor Thema: Paxschrank  (Gelesen 1120 mal)

Jana

Paxschrank
« am: Oktober 24, 2020, 10:20:10 »
Wir richten uns im Leben ständig ein,
um Unordnung in uns zu überdecken
und innere Probleme zu verstecken.
Ein neues Möbelstück – Was darf es sein?

Ich kann Ihnen den Paxschrank nur empfehlen.
Nicht nur nach Maß, auch individuell
gestaltbar, und das alles rasend schnell.
Sie können zwischen Farben, Größen wählen

und nicht mal Griffe sind bei uns genormt.
...
Sie wollen keine Türen? Kein Problem.

Ihr Inneres lässt sich als Folge sehen.
Wir haben den Entwurf für Sie geformt.
Sie müssen schließlich nur zur Kasse gehen.

Erich Kykal

Re: Paxschrank
« Antwort #1 am: Oktober 24, 2020, 11:05:49 »
Hi Jana!

Interessantes Bild. Nur ist mir nicht klar, ob hier ein Schrank ins Innere der Person gestellt wird, eine Art selbstgewähltes Gefängnis oder Behältnis des Geistes, der gewisse Aspekte seiner selbst so nicht mehr wahrnehmen will, oder ob das Möbel die ganze Person beherbergen soll, als reales Konstrukt, ein weiteres Accessoire, das man sinnlos  kaufen kann, die Leere in uns füllen oder davon ablenken soll?

Soll das Möbel die Person ausfüllen - oder die Person das Möbel?

Und "Pax" für Frieden ist mehrdeutig. Steht es für echten Frieden oder nur für Befriedung, Beruhigung, Ruhigstellung - ohne eine echte Lösung anzubieten? Und was genau soll befriedet werden? Frieden für den Benutzer oder die Gesellschaft?

Und wer ist der Verkäufer/Marktschreier, der so ein Möbel produziert und/oder anbietet?

Ist das Gedicht eine philosophische Betrachtung menschlicher Schwäche, Selbstverleugnung und bewusster Blindheit, oder kritisiert es die blindwütige Medien- und Konsumgesellschaft, in der sich wirklich jeder Scheißdreck verkaufen lässt, wenn er nur laut und manipulativ genug angepriesen wird?

Im Ansatz guter Gedanke, aber die obigen Zeilen bleiben bedauerlicherwise einiges schuldig, was das Verständnis erleichtern oder befördern könnte. Mein Rat: Besser herausarbeiten, worauf exakt das Werk abzielt: Problemlösung oder Kaschieren vor anderen? Real oder ideell? Charakterstudie? Gesellschaftskritik?

Gern, aber mit ein paar Fragezeichen gelesen.

LG, eKy


PS: Manchmal, wenn ich noch nicht ganz wach bin, kann es sein, dass ich zu geradlinig denke, Metaebenen nicht wahrnehme. Sollten andere das Werk problemlos verstehen, mag das hier der Fall gewesen sein. In welchem Fall du mein obiges Geschreibsel getrost ignorieren kannst ...
« Letzte Änderung: Oktober 24, 2020, 11:08:16 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Paxschrank
« Antwort #2 am: Oktober 26, 2020, 09:47:01 »
Hi Jana! :)
Eine sehr schöne Verschränkung (ist man hier versucht, zu sagen) von Ikea und Ikarus ist Dir da zugeflogen! Halb Waren- halb Lebenskunde, spießen die Zeilen gekonnt den Selbstoptimierungswahn im inneren und äußeren Dasein auf, eine ungute Gemengelage aus Marie Kondo und Sisyphus...
Formal ganz besonders schön finde ich übrigens die Auslassung der Zeile 10... die Kunst des Weglassens: Im Leben wie im Gedicht eine viel zu selten geübte Praxis!
LG!
S.

Jana

Re: Paxschrank
« Antwort #3 am: Oktober 28, 2020, 11:49:57 »
Lieber eKy,

ich finde Deine Interpretation des Titels wirklich herzallerliebst - mit Pax ist jedoch in diesem Falle einfach nur eine Bezeichnung eines gängigen Schrankes aus dem IKEA-Sortiment gemeint.  ;)
Die bei dir aufgeworfenen Fragen beantwortet das Gedicht tatsächlich nicht, ich werde mal darüber nachdenken, wie ich die Konsumkritik etwas deutlicher hervorheben kann, danke!

Lieber Sufnus,
 
freut mich, dass Dir das Gedicht gefallen hat. Ich bin mir bei Auslassungen und dergleichen immer sehr unsicher, umso besser, dass das in diesem Falle gut angekommen ist.

Lieben Dank euch und eine schöne Restwoche,
Jana


Erich Kykal

Re: Paxschrank
« Antwort #4 am: Oktober 28, 2020, 11:59:33 »
Hi Jana!

Da ich nicht bei Ikea einkaufe, kannte ich natürlich auch nicht diese Produktbezeichung, die ich, wie ich anmerken möchte, zudem als höchst daneben ansehe, aber da kannst du ja nichts dafür.

Wie sollte ich also etwas anderes annehmen, als dass mit "Pax" für Frieden etwas für das Gedichtverständnis Wesentliches gemeint wäre? Danke für die Erklärung!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Jana

Re: Paxschrank
« Antwort #5 am: Oktober 28, 2020, 12:05:53 »
Das Gedicht ist tatsächlich im Rahmen eines Seminars an meiner Uni entstanden, in welchem wir uns mit den Besonderheiten von Ikea auseinandersetzen mussten. ;D
Als Nicht-Ikea-Kenner hast du natürlich Recht, da ergibt der Titel ohne die Annahme Pax=Frieden nur wenig Sinn. Letztlich ist deine Deutung aber durchaus auch auf das Gedicht übertragbar und in sich schlüssig, von daher danke dir, dass du den Blickwinkel weitest!

Liebe Grüße!

AlteLyrikerin

Re: Paxschrank
« Antwort #6 am: November 23, 2020, 09:45:02 »
Hallo Jana,


auch mir gefällt Dein Gedicht sehr gut. Dass ständige Konsumangebote uns für ungelebtes Leben entschädigen sollen, für alle Situationen, in denen wir nur zu funktionieren haben, das hast du sehr gut beschrieben. Es spricht mich an.
Auch, das Prinzip, um das es letztlich geht ("Sie müssen schließlich nur zur Kasse gehen"), die totale Abrichtung unseres Lebens auf ökonomische Zwecke, hast Du sehr schön entlarvt, ohne überflüssige, lange Phrasen zu verbrauchen.
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

gummibaum

Re: Paxschrank
« Antwort #7 am: November 24, 2020, 21:45:11 »
Liebe Jana,

ich hatte vor kurzem bei Ikea Regale bestellt. Sie schickten eines mehr, das nicht auf der Rechnung stand, und ich habe ihm den besten Platz im Zimmer gegeben.

Mit Vergnügen gelesen.

Grüße von gummibaum