Autor Thema: Seefahrt tut Not  (Gelesen 840 mal)

Sufnus

Seefahrt tut Not
« am: September 22, 2020, 09:45:36 »
Seefahrt tut Not

ut facili saltu per noctem carbasa traiciantur

Man lebt sehr ungefähr
und stirbt mit Präzision:
Erst Irrfahrt (Daseinsmeer),
dann Hafen (Endstation).

Die Reise (nicht das Ziel)
wird sternendeklariert,
der Mensch vom Sinngefühl
zum Nachtsprung glücksverführt.





« Letzte Änderung: September 22, 2020, 16:17:56 von Sufnus »

a.c.larin

Re: Seefahrt tut Not
« Antwort #1 am: September 22, 2020, 10:16:04 »
hallo sufnus,
das Leben mit einer seereise gleichzusetzen ist ein interessantes bild....
mir gefallen gleich die ersten zwei zeilen: ungefähr leben- präzise sterben.
glücklich der, der darüber lachen kann! 😉

die sternendeterminiert darf man wohl anzweifeln - die deklarierheit aber ist offensichtlich : jeder verfolgt irgendeine sache, seis von außen übernommen oder als selbst definiertes ziel.(wobei so manches, das selbstdefiniert erscheint, aus dem unbewussten/unterbewussten kommt - doch was ist das eigentlich?)

an der glücksverführung in den nachtsprung nehme ich gerne teil. auch wenn es närrisch erscheint, glücklich zu sein angesichts mancher unglückseligen entwicklungen:
hätte es mehr sinn, das (trotz alledem)
mögliche glück zu verweigern?
ich denke:
auf schwankendem boote  steht nicht besser, wer sich selber an die rahe knüpft!

feines philosophikum hinter deinen zeilen!
lg, larin


Sufnus

Re: Seefahrt tut Not
« Antwort #2 am: September 22, 2020, 15:10:33 »
Hi ACL! :)
Dankeschön für Lob & Interesse! :)
Ich werd vielleicht noch ein kleines bisschen an den Zeilen feilen... dass in S1 vom Hafen die Rede ist, in S2 aber dann von einer Reise ohne Ziel ist zwar vielleicht nicht gerade ein eklatanter Widerspruch aber doch eine gewisse inhaltliche Reibung... bin noch nicht sicher, ob ich die nicht vielleicht noch auflöse... :) Und irgendwie hab ich das Gefühl, eine dritte Strophe könnte als Abrundung noch sinnig sein, aber ich hab keine Idee, was ich da schreiben könnte... ;D
Der Titel ist übrigens die etwas altertümliche Übersetzung von "navigare necesse est" und "tut Not" meint also hierbei so viel wie "ist notwendig". Für viele heutige Ohren dürfte der Ausdruck "tut Not" nicht mehr so recht geläufig sein und sich gar nach dem Gegenteil des eigentlich gemeinten anhören (verursacht Not). Interessanterweise geht der von Plutarch überlieferte Spruch nach "navigare necesse est" noch weiter: "vivere non est necesse" - also "Die Seefahrt ist nötig - das Leben nicht". Dieses zynische Zitat hat mich zu dem Gedicht angeregt.
Das dem Titel folgende lateinische Zitat stammt aus einer alten Chronik aus dem 11. Jahrhundert und beschreibt den sogenannten "Nachtsprung", von dem in der letzten Zeile die Rede ist, d. h. die küstenferne Navigation in klaren Nächten anhand des Nordsterns - vor Erfindung anderer Navigationshilfen eine der sichersten Methoden der Richtungsabschätzung auf See. Dabei musste man bis zum Anbruch des nächsten Morgens zumindest so weit geschippert sein, dass man hohe Punkte des gegenüberliegenden Ufers ausmachen konnte, die man zur Richtungspeilung verwenden konnte, andernfalls wurde es mit der Orientierung schwierig...
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Seefahrt tut Not
« Antwort #3 am: September 22, 2020, 15:11:30 »
Hi Suf!

Der lateinische Spruch ist mir leider nicht geläufig. Darf ich um eine Übersetzung ersuchen?

Inhaltlich tadellos und interessant, allerdings wirken die Verse durch die extreme Kurzzeiligkeit doch recht atemlos und abgehackt. Dazu kommt Richtung Conclusio ein zunehmender Mangel an sprachlicher Klangharmonie - die letzte Zeile ist dann schon fast ein echter kleiner Zungengeländelauf im Mund (zumindest verglichen mit dem Artikulationsaufwand in S1) ...

Die Bilder von S2 erschließen sich mir nicht ganz, ich ahne bloß die Richtung. Meint "sternendeklariert", dass wir Sternenstaub sind? Und dass einem das Dasein sinnentleert vorkommt, der Tod ein Sprung in die kalte Dunkelheit des Nichts?

Ex tempore:
Ich frage mich ernstlich, warum die Menschen so ein Problem damit haben. Man endet. Na und? Das wusste man ein Leben lang. Und wenn man nicht naiv oder selbstbetrügerisch genug sein konnte, um sich in einen Glauben zu flüchten, dann muss einem schon länger klar gewesen sein, dass hinterher eben nichts kommt. Sobald ich tot bin - und das ist unausweichlich - hab ich so oder so kein Problem mehr damit! Entweder ich frohlocke auf Wolke 7 (oder brenne in der Hölle, wenn es nach denen geht, die meine Ausführungen über Religionen lesen), oder es gibt mich nicht mehr. Warum sich also vor dem Ende Gedanken machen, wenn wir es einfach nicht wissen KÖNNEN?
Mit etwas mehr Mut zu klaren Gedanken wäre die Menschheit schon weiter, und die diversen Anbetungskonstrukte für Bedürftige, sprich Götter, wären längst in der Versenkung der Geschichte verschwunden!  ::)

Gern gelesen!  :)

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Seefahrt tut Not
« Antwort #4 am: September 22, 2020, 15:25:32 »
Hi eKy!
Danke auch für Deine Anmerkungen! :)
Ein bisschen hat sich Dein Kommentar mit meiner Antwort überschnitten, die vielleicht gewisse interpretatorische Hinweise zumindest zum "sternendeklariert" liefert.
Die Übersetzung des lateinischen Zitats lautet ungefähr: "So erreichen kleine Boote in leichtem Nachtsprung das andere Ufer". Ich hab oben erklärt, was es mit diesem Nachtsprung auf sich hat und von diesem leitet sich die Anspielung aufs Gestirn (Nordstern) in "sternendeklariert" her. Aber natürlich darf und soll hier jeder Eigenes herauslesen - dass ein "Nachtsprung" auch als Metapher für einen Sprung in die Nacht (oder aus der Nacht!) und damit womöglich metaphysisch verstanden werden könnte, ist hier natürlich eingepreist. Bezüglich einer Deutung bleibe ich bewusst für alle Lesarten offen. Man muss meine Zeilen auch gar nicht Jenseits-kritisch lesen (aber man kann natürlich). Es ist ein offener Debattenimpuls. :)
Was den Klang angeht, hast Du natürlich recht. S2 ist deutlich schwerer zu lesen als S1 - aber ich brings flüssig und mit meiner sonoren Vortragsstimme auch recht angenehm tönend über die Lippen, wenn ich das mal so selbstgefällig sagen darf  ;D
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Seefahrt tut Not
« Antwort #5 am: September 22, 2020, 19:13:56 »
Hi Suf!

Dies sei dir durchaus zugetraut! Auch ich verfüge über ein versatiles Organ, von rauchigem Bassbariton bis nölend-schmetterndem Tenor.  ;) ;D

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.