Autor Thema: Auf dunkler Leinwand  (Gelesen 1171 mal)

gummibaum

Auf dunkler Leinwand
« am: Januar 10, 2014, 20:17:15 »
Wie schön bist du! Des Blickes Glanz entfaltet
in mir ein Glück, und sieh, an deinem Ohr
lockt eine Perle, und sie hebt hervor,
was in dir anfragt, sanft, noch ungestaltet.

Dem Schimmern gleichst du, Zeigen und Verhüllen,
sich Nähern und Enteilen ist in dir,
die Wendung deines Kopfes, hin zu mir,
beflügelt, ein Erwartetes zu stillen.

Doch bleibe so, ich mag dich nur gestalten
als lichtes Bild auf Leinwand, am Gestell.
Ich werde malend in der Schwebe halten

den rätselhaften Bann. Er weicht so schnell.
Wie die erträumten Küsse Lippen spalten,
so teile Schönheit Dunkel, mach es hell.


Nach Vermeer: Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge
« Letzte Änderung: Januar 12, 2014, 12:03:20 von gummibaum »

Erich Kykal

Re:Auf dunkler Leinwand
« Antwort #1 am: Januar 10, 2014, 21:26:31 »
Hi, Gum!

Wie wunderschön! Endlich lese ich ein anderes Sonett, eines anderen Dichters Blick auf dieses Bild. Hast du meine Version im Lieblingsbilderzyklus gelesen?

Eine weitere Facette dieses Rätsels...

Einzig mit dem "Oh!" in S1Z2 bin ich nicht so glücklich, da wäre ich mit "...entfaltet // in mir ein Glück, und sieh,..." oder so zufriedener, und in S1Z1 würde ich "Dein Glanz im Blick" ( sprachlich nicht so prickelnd) zu "Des Blickes Glanz entfaltet", was als Genitiv viel eleganter wirkt. Dass ihr Blick gemeint ist, geht aus dem ersten Satz ja quasi schon hervor.
Auch das "schimmert" in S1Z3 erscheint mir fragwürdig angewandt. Etwas schimmert schön, hell, usw..., ja, aber etwas schimmert etwas anderes hervor...das funzt für mich nicht! Alternative: "...Perle, und sie hebt hervor,"

Also:

Wie schön bist du! Des Blickes Glanz entfaltet
in mir ein Glück, und sieh, an deinem Ohr
lockt eine Perle, und sie hebt hervor,
was in dir anfragt, sanft, noch ungestaltet.

Dass in Z2 und 3 ein phonetisch quasi identischer Teil entsteht ("und sieh" und "und sie"), nähme ich in diesem Fall in Kauf. Flüssig gelesen fällt der Gleichklang kaum auf, da das obere stark betont wird, während das untere sich zwischen 2 Hebern befindet.

Ansonsten aber sowas von gar nix zu meckern! ;) ;D Allergernst gelesen und gewürdigt! Chapeau - das hätte ich nicht besser gekonnt!

LG, eKy
« Letzte Änderung: Januar 10, 2014, 21:30:15 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Auf dunkler Leinwand
« Antwort #2 am: Januar 10, 2014, 22:26:02 »
Erich, hab Dank für die schnelle und positive Antwort. Ich hatte schon Angst, ich mische mich in deine Liebschaft, habe auch erst jetzt nach dem Lieblingsbilderzyklus gesucht, weil ich nicht durch deine Augen auf das Bild sehen wollte. Nun aber habe ich nachgelesen. Wunderschön!

Sag wer, so fragst du dich an Malers Stelle,
ist dieses Mädchen, das wie scheue fragend
und doch mit großen Augen so viel sagend
sich wendet nach des stillen Blickes Quelle...

Deine Verbesserungsvorschläge habe ich überflogen und danke schon einmal dafür. Ich werde morgen damit ans Überarbeiten gehen. Es wird jetzt auch wieder weniger Zeit sein, weil Montag die Schule losgeht.

Alles Liebe
gummibaum


gummibaum

Re:Auf dunkler Leinwand
« Antwort #3 am: Januar 12, 2014, 12:16:32 »
Hallo Erich,

habe die Änderungen in der ersten Strophe übernommen. Das Oh! war mir wegen der Gleichklangs mit Ohr im selben Vers eingefallen, quasi als eine lautliche Überleitung zum nächsten und wesentlichen Ort und Objekt der Betrachtung.

Der Gleichklang scheint aber gerade nicht so dein Geschmack, da du auch sieh/sie als beinahe störend erwähnst. Statt "und sie hebt hervor" ginge da vielleicht auch "hebt bered hervor", obwohl das wenigeraus schwingt.

Danke nochmals. Ich wünsche dir einen schönen Sonntag.

LG gummibaum

cyparis

Re:Auf dunkler Leinwand
« Antwort #4 am: Januar 14, 2014, 14:39:52 »
Lieber gummibaum, lieber Erich -

es gibt keine fruchtbarere und schönere wiese als unsere Lyrikwiese!
Und das verdankt sie solchen Meistern der Dichtkunst, wie Ihr sie seid.
Ich greife auf einen alten (religiös besetzten?) ausdruck zurück:
Gebenedeit.

Ich bin kein guter Kommentarschreiber,
aber Ihr wißt, wie sehr ich Euch bewundere und wie hingegeben ich mich an vollkommenen Gedichten labe.

Ganz liebe Grüße
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte