Autor Thema: Wechselseitig  (Gelesen 1094 mal)

gummibaum

Wechselseitig
« am: April 07, 2020, 02:12:50 »
Sich Bilder von der Zukunft auszudenken,
ist Menschen eigen und bestimmt ihr Jetzt,
und ob sie Ängste oder Hoffnung schenken,
entspringt Erfahrung, die Akzente setzt.

Doch lassen wir ein Zukunftsbild entstehen,
so mengt es sich in das Erinnern ein,
entscheidet, was wir als vergangen sehen -
Geschichte soll, was es berechtigt, sein… 

Erich Kykal

Re: Wechselseitig
« Antwort #1 am: April 07, 2020, 10:53:47 »
Hi Gum!

Sehr philosophisch - find ich gut!  :)

Man sagt ja so schön: Geschichte wird von den Siegern gemacht. Das impliziert ja schon, dass Historie nichts mit tatsächlicher Akuratesse bei der Memorierung der Faktenlage zu tun hat! Der Mensch tendiert allgemein dazu, sich seine Welt zu schönen, egal ob im Großen oder im Kleinen. Auch der Einzelne vergisst gern die Härten und Kränkungen, erinnert sich in alten Tagen an die "guten Zeiten", kaum an sein Scheitern und Versagen.
Bezeichnend auch, WORAN wir uns erinnern wollen: Der Geschichtsunterricht ist voller Eroberer, Schlachten und Kriege! Jahrtausende des Gemetzels aus Machtgier oder Glaubenswahn, von der Antike, über die Völkerwanderung und durch das finstere Mittelalter bis in die Neuzeit! Echt - so wollen wir uns betrachten!? Nur so nebenbei lernt man vielleicht ein wenig über Hexenverbrennungen, Pogrome, große Forscher, Wohltäter der Menschheit, oder die Entdeckungen der Wissenschaft!

So beeinflussen die Erinnerungen immer auch die Gegenwart und damit die Zukunft. Ich zB hatte schon als Kind das Gefühl, in schlechten Zeiten zu leben (obwohl ich so viel hatte, aber mir fehlte natürlich der Vergleich ...), weil kalter Kireg war und alle Altvorderen immer von der "guten alten Zeit" erzählten, wo alles besser und harmomischer gewesen sei. Natürlich Quatsch, die alten Nazis trauerten damals nur ihrer "einstigen Größe" nach - aber das Kind glaubte unbesehen und ärgerte sich.
So funkt uns die mangelnde Objektivität ständig drein, wenn wir versuchen, Ordnung ins Chaos unserer Erinnerungen zu bringen. Selbst in Zeiten, wo es so viele Dokumentationsmöglichkeiten gibt, ist es nicht besser, dank "Fake Facts" und selektiver Wahrnehmung oder gar bewusst versuchter Geschichtsfälschung durch extremistische Elemente.

Das andere Übel ist die Verallgemeinerung, die Tendenz des menschlichen Geistes zur Simplifikation. ZB, dass so viele Menschen bis heute denken, bloß weil es die Nazis gab und gibt, wären "DIE Deutschen" - also allesamt - von Übel. Oder dass, weil es den IS gab, ALLE Muslime gefährliche Terroristen und Zersetzer im Namen ihres Glaubens wären ... usw. bis zum Exzess! Schubladi, Schublada ...

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Wechselseitig
« Antwort #2 am: April 07, 2020, 17:01:30 »
Herzlichen Dank, lieber Erich,

für die reichhaltige Stellungnahme, die viel aus eigenem Erleben und Betrachten beisteuert und so das Fleisch um die Knochen meiner Verse legt.

Mit Freude zweimal gelesen.

Heitere Grüße
gummibaum
« Letzte Änderung: April 21, 2020, 22:57:08 von gummibaum »

Sufnus

Re: Wechselseitig
« Antwort #3 am: April 07, 2020, 17:14:45 »
Auch mir gefallen diese prägnanten und philosophischen Zeilen sehr, lieber gum! Vergangenheit und Zukunft pflegen ein kompliziertes Verhältnis mit einander, nicht immer bringen sie das jeweils Beste im anderen Part hervor, bekämpfen sich gar manchmal, aber können doch nicht ohne einander. :)
LG!
S.

gummibaum

Re: Wechselseitig
« Antwort #4 am: April 08, 2020, 03:09:41 »
Sehr wahr gesprochen, lieber Sufnus. Vielen Dank.

Liebe Grüße
gummibaum