Formvollendet greift das Gedicht die alte Vorstellung vom "Theatrum mundi" auf, die Gleichsetzung unseres Daseins mit einem bloßen Theaterspiel. Schon aus der Antike wird uns diese Sichtweise überliefert, z. B. in den Worten, die der römische Historiker Suetonius dem sterbenden Kaiser Augustus in den Mund legte: "Hat Euch dies Bühnenspiel gefallen? Dann spendet Beifall mir und dankbar gehen wir nach Hause wieder."
Dabei wurde dieser Vergleich des menschlichen Lebens mit einem Theaterstück durchaus mit unterschiedlichen Intentionen vorgenommen: Einerseits die gewissermaßen "stoische" Sichtweise, dass jeder Mensch nach bestem Wissen und Gewissen "seine" (ihm gemäße) Rolle zu spielen habe, was durchaus als konservativer oder gar reaktionärer Aufruf zum Erhalt der jeweils bestehenden Gesellschaftsordnung (miss)verstanden werden konnte, andererseits die Sichtweise, dass das Leben hienieden ziemlich sinnlos ist, woraus sich je nach Standpunkt wahlweise existentielle Verzweiflung, diesseitiger Hedonismus oder jenseitige Heilshoffnungen ableiten lassen.
All diesen Sichtweisen gemeinsam ist sicherlich die kritische, distanzierte Haltung zum irdischen Geschehen. Und diese kritische Distanz finden wir auch in eKys Zeilen. Aber was ist in diesem Gedicht die Conclusio?
In gewisser Weise wird es (ich denke ganz bewusst) etwas offen gehalten, denn "ich tanze nicht und packe meinen Ranzen und schleiche von der Bühne, leise, leise" kann durchaus gegensätzlich gedeutet werden: entweder als resignative Haltung im Angesicht der Begrenzheit des Lebens (der "Abgang von der Bühne" wurde schon in obigem Zitat des Kaiser Augustus mit dem Sterben gleichgesetzt!) oder aber (und diese Deutung gefällt mir sehr viel besser) als Zeichen des Wiederstands: Ich mache Euer Spiel nicht mit, sondern definiere meine eigenen Regeln und pfeife auf den Applaus des Publikums.
Letztlich ist gerade durch die Offenheit des Schlusses dieses Gedicht im besten Sinne zum Nachdenken anregend.
Sehr sehr gerne gelesen!!!
Nur ein paar Änderungsvorschläge, um das etwas pleonastische "heiß verbrennt" zu vermeiden:
"Die Wenigen, gereifter und gescheiter / - sie sind die Ketzer, die man heiß verbrennt."
=> z. B. zu:
"Die Wenigen, gereifter und gescheiter, / sind Ketzer, die man mitleidlos verbrennt." oder
"Die wenigen Gereiften und Gescheiten, / trifft Unheil, wenn das Ketzerfeuer brennt." oder
"Den wenigen Gereiften und Gescheiten, / hilft keiner, wenn der Scheiterhaufen brennt."