Hi, gray-poet!
Du bist mir hier bisher als "moderner" Lyriker mit reimlosen Werken aufgefallen. Deshalb habe ich dir auch noch nichts geschrieben bisher - reimlose Lyrik ist die meine nicht!
Hier liegt nun ein "klassisch" strukturiertes Werk vor.
Allerdings scheinst du derlei - irre ich? - noch nicht so oft probiert zu haben. Bei solchen Gedichten sollte man - abgesehen vom
Reimschema - formal auf zweierlei achten:
Gleichhebige Zeilenlängen und Regelmaß bei
Auftakten und
Kadenzen.
Als Auftakte bezeichnet man die Anfänge der Zeilen: Man unterscheidet
betonte (erste Silbe betont) und
unbetonte (2. Silbe betont) Auftakte. Die Zeilenenden nennt man Kadenzen:
Männliche Kadenzen beenden die Zeile mit einer betonten Silbe,
weibliche mit einer unbetonten.
Schauen wir und nun mal die Auftakte, Heberzahlen und Kadenzen deiner Verse an:
Dumme Gänse sind gar nicht so dumm,
Betonter Auftakt(b), 5 Heber, männliche Kadenz(m)sie schwimmen auf Bächen und auf Teichen.
Unbetonter Auftakt(u), 4 (Heber), weibliche Kadenz(w)Gründeln im Schlamm nach Futter herum -
b, 4, mwachsam ohne gleichen
b, 3, wWir finden also schon in dieser ersten Strophe praktisch keinerlei tragende Struktur - alles querbeet, ohne inneren Rhythmus.
Das hatten schon die alten Römer erkannt,
u, 5, m (Unschöner Silben- und Senkungsprall: "RömER ERkannt")haben sie auf dem Kapitol als Wächter gehalten.
b, 6, wAls Anno 387 die Gallier kamen dahergerannt,
u, 7 oder 8 Heber, je nach Ausspache der Zahl, mwarnten Gänse vor diesen Räubergestalten.
b, 5, wIn S2 dieselben taktlosen Verscherungen. Auf Sprachmelodie oder lyrische Schönheit wurde gar nicht geachtet. Und so geht es auch weiter:
Dankbar wurden sie den Göttern geweiht,
b, 5, m (Senkungsprall bei "Göttern geweiht")wurden gehegt, gepflegt und gefüttert.
b, 4, wIm Haushalt der Römer stand gar eine Apanage bereit.,
u, 7, m (Punkt und Beistrich?)die Räuber haben fortan vor Gänsen gezittert.
u, 5, mBis eines Tages der Heilige Martin ritt daher -
u, 6, wsah die fetten Gänse mit den langen Kragen.
b, 6, wAn St. Martin bleibt seither kein Bräter mehr leer -
b, 6, m (Senkungsprall "Bräter mehr leer")auch Weihnachten füllen sie so manchen Magen.
u, 5, w Wo bleibt da die vielgepriesene Dankbarkeit?
u, 5, mSie ist, wie so oft, auf der Strecke geblieben.
u, 4, wGeschätzt wird stattdessen weit und breit,
u, 4, mGänsebrust und Schmalz mit Äpfel und Grieben.
b, 5, wDie Moral von der Geschicht:
b, 4, mverlasse dich auf der Menschen Dankbarkeit nicht.
u, 5, m Denn über Allem steht allzu oft eine profane Lust -
u, 6, m ("allem" klein, Senkungsprall "oft eine profane")auf Griebenschmalz und Gänsebrust.
u, 4, mPraktisch keine zwei Zeilen lassen ein Gleichmaß erkennen, alles ist wild zusammengewürfelt. Entweder ein Schnellschuss mit reiner Ausrichtung auf Inhalt und Aussage - oder ein eklatanter Mangel an Sprachgefühl...

Nachtrag: Als
Hebungsprall bezeichnet man es, wenn 2 betonte Silben aneinanderstoßen, dementsprechend bezeichnet ein
Senkungsprall das Aufeinandertreffen (zu vieler) unbetonter Silben, wodurch eine Unwucht im Sprachrhythmus entsteht.
Sorry, wenn ich so ehrlich bin, vor allem, wenn dies eine Art "erster Versuch" in gereimter Materie sein sollte. Ich meine es nicht böse, ich reg mich leider immer zu schnell auf, wenn ich denke, dass die von mir so geliebte Sprache quasi vergewaltigt wird.
Nun, vielleicht - sollte ich dich nicht dauerhaft gekränkt und abgeschreckt haben - bringt dir meine Analyse etwas, und beim nächsten Mal achtest du auf die von mir monierten "Kleinigkeiten"!

LG, eKy