Autor Thema: Der Fremde  (Gelesen 1256 mal)

gummibaum

Der Fremde
« am: M?RZ 12, 2017, 03:27:44 »
Ein Fremder stellte sich zu mir.
Ich hörte ihn nicht kommen.
Er hatte mich als stille Tür   
zum Stelldichein genommen.     

Er zeigte stumm auf seine Uhr.
als wär nun Zeit zu gehen
und keine mehr, mich einmal nur
beim Abgang umzusehen.

Ich folgte ihm wie einem Sog.
Das Fremdsein wich indessen,
und als er bald mich an sich zog,
begann ich zu vergessen…   
« Letzte Änderung: M?RZ 12, 2017, 12:12:06 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Der Fremde
« Antwort #1 am: M?RZ 12, 2017, 10:53:57 »
Hi Gum!

Warum sollte der Tod ein Fremder sein? Wir haben ihn uns erfunden!  :-\ Manchen ist er vertrauter als sie je verlangten, und manchen mag er Erlösung sein ... - Aber du schreibst ja ganz zuletzt, dass das Fremdsein wich - so als wäre man einem sehr alten Freund begegnet und hätte ihn zuerst bloß nicht wiedererkannt ...

Diese Personifikation gefällt mir! Nicht der "grimme Schnitter" des Mittelalters, sondern eher die Pratchett-Variante - ein wohlmeinender Tod, wiewohl kein Mensch und ohne Mitleid, so doch verständnisvoll, die Kälte der Pflicht durch all die Jahrzehntausende der Menschheitsgeschichte gemildert und versöhnt. Ein Vertrauter, ein Freund, ein Begleiter. Jemand, der nicht urteilt, nicht VERurteilt, sondern sich gleichermaßen sanft um alle kümmert. Das stimmt versöhnlich. So MÖCHTE man gerufen werden, wenn es denn schon sein muss.

In der vorletzten Zeile würde ich das "bald" vor das "mich" stellen. Ich weiß nicht, ob das schon als inversiv gilt, aber sprachmelodisch würde es so besser in den Takt passen.

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Der Fremde
« Antwort #2 am: M?RZ 12, 2017, 12:04:39 »
Danke, lieber Erich.

Ich stelle die Wörter um. Das personifizierte Befremden verrät, dass ich noch nicht damit rechne.

Liebe Sonntagsgrüße
gummibaum

Günter

Re: Der Fremde
« Antwort #3 am: M?RZ 12, 2017, 12:33:52 »
Lieber Gummibaum,
Deine Darstellung von der Begegnung mit Freund Hain ist sehr tröstlich. Ich kann mir gut vorstellen, dass im letzten Moment des Los lassens ein großer Frieden einzieht, die Welt verblasst. Eine sehr wohlklingende und ansprechende Geschichte.
Die Zeile "Er hatte mich als stille Tür" verwirrt mich etwas. Ich hätte es so verstanden 'Er hatte mich zur stillen Tür'?
Habe ich wieder etwas nicht geschnallt?
Sehr gern gelesen 
LG Günter

gummibaum

Re: Der Fremde
« Antwort #4 am: M?RZ 12, 2017, 14:19:59 »
Danke, lieber Günter.

Wir meinen wahrscheinlich das gleiche: Er war durch mich (als Tür) eingetreten. (Der Tod tritt aus dem LI heraus, um ihm zu begegnen.)

Einen schönen Tag wünscht dir
gummibaum

Erich Kykal

Re: Der Fremde
« Antwort #5 am: M?RZ 12, 2017, 14:55:18 »
Lieber Günter!

Ein Hain ist ein lieblicher Wald.

Der Tod heißt "Freund Hein".

Nur so am Rande.  ;)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

a.c.larin

Re: Der Fremde
« Antwort #6 am: M?RZ 12, 2017, 17:03:19 »
ich kanns nachvollziehen, dass der gedanke an die eigene sterblichkeit zunächst einmal erschreckt und befremdet.
( es erschreckt aber auch, wenn man den ersten zahn  verliert, die haare ausgehen, irgendein körperteil operativ entfernt wird, man nicht mehr alles essen kann, was man möchte usw...)
aber wie so vieles im leben erlernt man auch, mit gewissen schrecknissen umzugehen.

kann also gut sein, dass dann der tod in letzter konsequenz nicht mehr erschreckt.
sehr schön beoabchtet. man "vergisst" einfach, sich noch zu fürchten!

und, genau genommen:  was könten einem der tod noch antun, das einem das leben nicht schon längst angetan hätte?
die toten sind nicht unglücklich.
die lebenden oftmals schon.

gerne gelesen, larin

gummibaum

Re: Der Fremde
« Antwort #7 am: M?RZ 18, 2017, 18:30:50 »
Danke, a.c. larin,

für die ruhige Betrachtung der sich mit dem Sterben ergebenden Veränderung. Man kann sie, wenn man genug Zeit hatte, zu erleben, zu erfahren und zu verstehen, eigentlich entspannt erwarten.

LG gummibaum


 

cyparis

Re: Der Fremde
« Antwort #8 am: M?RZ 19, 2017, 11:28:12 »
Lieber gummibaum,

der Inhalt liegt genau auf meiner "Wellenlänge".
Formal gestehe ich Dir neidlos zu, daß Du in die wenigen Strophen so viel Dichte gepackt hast (verdichtet hast), wie mir das nie gelingen könnte.

Nachdem ich es etwa zehnmal gelesen habe, hab ich mich endlich zu diesem Kurzkommentar aufgerafft.

Lieben Sonntagsgruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

gummibaum

Re: Der Fremde
« Antwort #9 am: M?RZ 19, 2017, 16:33:58 »
Ich freue mich immer, von dir etwas zu lesen. Weiß ja, dass dir das Schreiben momentan nicht leicht fällt und schätze deine Zeilen doppelt. Bleib,wenn es geht, warmherzig, werd nicht missmutig, das ist mir das Wichtigste.

LG gummibaum