Autor Thema: Morgendlicher Blick aus dem Krankenzimmer  (Gelesen 1421 mal)

a.c.larin

Morgendlicher Blick aus dem Krankenzimmer
« am: M?RZ 12, 2016, 17:44:58 »
Dämmergraues Sich-Erheben
aus der Nacht und ihren Schatten,
Träume, die die Menschen hatten,
werden bald vergessen sein!
So erwacht die Stadt zum Leben:
Ihre Wesen sind geschäftig,
holen Atem, tief und kräftig -
und ein Hahn beginnt zu schrein.

Milchigweißes Klarerwerden,
Busse fahren, immer voller,
rasch flitzt noch ein Motorroller
an der Ampel dort vorbei.
Mensch traben stumm, in Herden,
drängen sich an Pforten, Stiegen,
wie sie matt die Köpfe wiegen,
steinern noch ihr Konterfei!

Trübes Starren auf Geräte:
Kann euch Technik Liebe schenken?
Will sich keiner Freude denken,
ehe ihm die Zeit entrinnt?
Was vom Morgen ich erbäte:
Nur den Blick aus jenem Fenster,
das uns alle Nachtgespenster
fortjagt, eh der Tag beginnt.
« Letzte Änderung: M?RZ 17, 2016, 09:43:38 von a.c.larin »

Erich Kykal

Re: Morgendlicher Blick aus dem Krankenzimmer
« Antwort #1 am: M?RZ 12, 2016, 18:16:49 »
Hi, larin!

Wunderbar stimmungsvoll und lyrisch, diese Beschreibung eines Stadtmorgens aus dem Fenster eines Krankenhauszimmers!

Das erinnert mich an ein altes eigenes Gedicht zu diesem Thema, ebenfalls während eines Klinikaufenthalts entstanden:

"Krankenhausmorgen"

Lange Gänge, lichtgewandet
in den Neonflor der Nacht,
Stille, nur vom Laut umrandet,
den ein hartes Husten macht.

Trostgemurmel, Gabelklimpern
holt den Tag von tief empor,
und mit tünchebleichen Wimpern
tastet er, was ihn beschwor.

Jeder Bilderrahmen bläht sich
auf mit Bibelvers und Psalter,
jeder Stundenschlag versteht sich
als des Lebens Gramverwalter.

Lösungsmittelfahnen kriechen
durch die Flure, ins Gebein
aller Kranken, Alten, Siechen,
die allmorgendlich ihr Sein

bebend in ein Fragen kleiden,
das, um eine Antwort bang,
wissen möchte, ob ihr Leiden
weiter dauert - und wie lang.


Sehr gern gelesen! :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: M?RZ 13, 2016, 10:54:17 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

a.c.larin

Re: Morgendlicher Blick aus dem Krankenzimmer
« Antwort #2 am: M?RZ 13, 2016, 08:52:54 »
Hi Erch,
das mit dem Gabelgeklimmper kann ich, jüngsten Erfahrungen folgend, nur bestätigen.
(und eine von mir von daheim mitgebrachte hat den Weg nach Hause dann gar nicht mehr gefunden. ;D)

Aber jetzt mal ehrlich: Sollte der Bilderrahmen in deinem Gedicht nicht noch ein r haben?
Und verwirrt bin ich auch : morgendlich oder morgentlich? Jetzt muss ich doch im Wörterbuch nachgucken.

Das Gute am Schlechten ist vielleicht: Wird man jäh in eine abgehobene Situation gebracht, so schärft das den Blick für den Alltag enorm!
Man findet dann sehr schnell raus, was einem persönlich wichtig ist oder auch nicht.

Ich stelle fest: Mir helfen Reflexion, Erlebtes zu erarbeiten, sind also "wichtig" für mich.

Wir schön, dass ich sie mit anderen Menschen ausstauschen kann!

LG, larin

Erich Kykal

Re: Morgendlicher Blick aus dem Krankenzimmer
« Antwort #3 am: M?RZ 13, 2016, 10:58:49 »
Hi, larin!

Upps - gleich zwei Tippfehler! Peinlich, peinlich! ::) :-[

Ich hab gleich nachgesehen :o - zum Glück habe ich es damals im Buch "Weltenwege" richtig geschrieben! (Erleichterungsseufzer!)

Ich habe ebenfalls festgestellt, dass ich selbst Erlebtes und mir Widerfahrenes gern mal "lyrisch" bewältige - eine besonders tiefe Form der Reflektion, soweit ich das sagen kann.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Morgendlicher Blick aus dem Krankenzimmer
« Antwort #4 am: M?RZ 15, 2016, 12:17:17 »
ein Gedicht, das einen innehalten lässt.
Den Blick aus dem Krankenzimmer ins Leben, motivierend, lebenszuneigend.
ich habe es damals ganz anders empfunden. das rauschende Leben, das vorbei rauschende- also der Kranke im Kraneknzimmer als der Abgekoppelte.
Jeder mag das anders sehen.
Das Gedicht vermittelt Stimmung und Hoffnung. Gefällt mir gut.
LG von Agneta

cyparis

Re: Morgendlicher Blick aus dem Krankenzimmer
« Antwort #5 am: M?RZ 17, 2016, 05:37:33 »
Liebe larin,

außer daß ich den Atem tief unbd kräftig holen ließe -
ein wundervoller Blick aus dem Fenster!
 (Zum Glück konnte ich mir während der letzten Krankenhausaufenthalte Fensterplätze ergattern!)

Lieber Erich,

für mich ist das richtig gespenstisch - genauso war es jetzt beinahe!
Dennoch: Wo Schatten ist, ist auch Licht; selbst in den dunklen Nächten.

Euch beiden ganz liebe Grüße!

Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

a.c.larin

Re: Morgendlicher Blick aus dem Krankenzimmer
« Antwort #6 am: M?RZ 17, 2016, 09:52:27 »
liebe agneta,

ich kann deine gefühle durchaus nachvollziehen: wenn man ins krankenhaus muss und nicht will, dann kann man sich dort abgeschnitten und isoliert fühlen.
Wenn man (so wie ich) voll motiviert ist, dahin zu kommen , weil man weiß ,nur dort kann einem geholfen werden, dann fühlt man sich mitten auf dem eigenen wege.
abgesehen davon: das so genannte "rauschende leben" ist doch manchmal so, dass es am eigentlich leben  glatt vorbeirauscht.
extremsituationen machen aufmerksamer auf das wesentliche, sie zentrieren. vorausgesetzt man spielt mit.
dann muss man leben und tod betrachten als zwei seiten von ein und derselben medaille.
zufall, dass wir uns gerade noch auf dieser seite befinden.
und was für ein geschenk!

möglicherweise liegt darin das geheimnnis der zufriedenheit: wenn man annehmen kann, was eben gerade so ist, egal, wie es gerade ist.
weil das leben an sich so etwas außergewöhnliches ist!

liebe cyparis,
kein wunder, dass dich diese zeilen so verblüffen: ich habe ja diese situation nicht nur theoretisch so beschrieben....
tief und kräftig gefällt, mir das übernehme ich!

das kann man wieder einmal aus der erfahrung lernen:
wo schatten ist, da wird das licht umso deutlicher!

liebe grüße an meine kommentatoren,
larin

Agneta

  • Gast
Re: Morgendlicher Blick aus dem Krankenzimmer
« Antwort #7 am: M?RZ 17, 2016, 12:39:14 »
da gebe ich dir gerne recht, annehmen kann man nicht immer...
LG von Agneta

Fridolin

Re: Morgendlicher Blick aus dem Krankenzimmer
« Antwort #8 am: M?RZ 25, 2016, 20:57:29 »
Liebe Larin,

ein sehr berührender Text, der in mir eigene Erinnerungen an schwere Tage in der Klinik aufsteigen lässt. Ich bin damals nach einer beidseitigen Nieren-Op Freund Hein gerade noch von der Schippe gehüpft. Während meines siebenwöchigen Aufenthalts hatte ich einige Zeit einen evangelischen Pfarrer im Zimmer, der in mir mit seinem Humor das kaum noch glimmende Fünkchen Hoffnung entfachte. Dabei war er selber todkrank.

LG Fridolin









Curd Belesos

Re: Morgendlicher Blick aus dem Krankenzimmer
« Antwort #9 am: Dezember 06, 2016, 23:55:15 »
Liebe Larin,

wir können alle von dem was du verdichtet hast ein Lied singen, ein trauriges, denn jeder von uns hat bestimmt diese Erfahrung bereits im Leben gemacht.

Dann kommt auch noch Erich mit einem "Krankenhaus" Gedicht, .........nun bin ich gedanklich auch wieder bei meiner letzten OP.

Ich hatte das Krankenhaus aus meinem Gedächtnis gestrichen, doch nun sind die Erinnerungen wieder da.

Du hast einen humorvollen Unterton eingebaut, meinem Empfinden nach, das tröstet und macht es nicht ganz so deprimierend.

Trotz der persönlichen, negativen Erinnerungen ist dir die Beschreibung gut gelungen.

Gesunden Gruß von hier,

von Curd.
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch