Autor Thema: Volljährig  (Gelesen 2657 mal)

Copper

Volljährig
« am: Februar 21, 2019, 00:30:28 »
Verzeihe mir, mein liebstes Kind,
wenn ich Dir gratuliere.
Es dient ja nur dem einen Zweck,
dass ich mich nicht verliere.

Verzeihe mir geliebtes Kind,
ich hab dich nie gestillt.
Doch die Gedanken zeichnen mir
oft dieses schöne Bild.

Verzeihe mir, mein liebstes Kind,
wir haben nie gelacht.
Hab mir deshalb in mancher Nacht
auch Vorwürfe gemacht.

Verzeihe mir, geliebtes Kind,
wir haben nie gestritten.
Auch nie gemeinsam Arm in Arm
in schwerer Zeit gelitten.

Verzeihe mir, mein liebstes Kind,
hab Dich nicht groß gezogen
und hab das Leben, Dich und mich,
die ganze Welt betrogen.

Verzeihe mir geliebtes Kind,
ich hab Dich nie liebkost.
Ich konnte Dir nicht Mutter sein,
nicht Halt und auch nie Trost.

Verzeihe mir, mein liebstes Kind,
es gab nie Zärtlichkeiten.
Uns trennt die Zeit, uns trennt der Raum
uns trennen Ewigkeiten.

Mein liebstes und geliebtes Kind,
ich trage Dich im Herzen.
Oh wie in mir die Seele brennt
es leuchten achtzehn Kerzen.

Du bleibst in mir, ich bleib in Dir,
ich leb um Dich zu lieben.
Vor achtzehn Jahren hab ich Dich
verzweifelt abgetrieben.
« Letzte Änderung: Dezember 03, 2019, 17:16:35 von Copper »

gummibaum

Re: Volljährig
« Antwort #1 am: Februar 21, 2019, 12:05:27 »
Die traurige Auflösung im letztes Vers gibt sehr zu denken, lieber Copper.

Ein bemerkenswertes Gedicht.

LG gummibaum 

Curd Belesos

Re: Volljährig
« Antwort #2 am: Februar 21, 2019, 18:14:28 »
Moin Copper,
beeindruckend, der langsame Aufbau bis zur Conclusio.

LG
CB
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

Erich Kykal

Re: Volljährig
« Antwort #3 am: Februar 21, 2019, 19:36:50 »
Hi Copper!

Gut geschrieben! In der drittletzten Str. fehlt am Ende der Punkt.


Die Frau, die sich nie verzeihen konnte, das Leben in ihr abgetötet zu haben, weil die Umstände sie dazu zwangen oder weil sie damals dachte das Richtige zu tun. Aber wir verändern uns ständig, müssen jedoch mit den Taten unserer Vergangenheit, unserer "alten" Selbst, weiterleben.

Gute Menschen sind sich selbst die strengsten Richter - dabei hätten gerade sie es nicht verdient, so leiden zu müssen! Wer nie gereift ist am Leben, sich nie positiv verändert hat, der lacht nur über seine alten Untaten - er hat mittlerweile längst viel größere begangen, und auch die sind ihm egal.

Solche Fixierungen wie oben beschrieben sind höchst ungesund - man sollte bei aller Reue auch in der Lage sein, es irgendwann gut sein zu lassen und sich selbst zu verzeihen. Irgendwann hat man genug gelitten!


Gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Curd Belesos

Re: Volljährig
« Antwort #4 am: Februar 22, 2019, 21:31:52 »
- man sollte bei aller Reue auch in der Lage sein, es irgendwann gut sein zu lassen und sich selbst zu verzeihen. Irgendwann hat man genug gelitten!

Moin Erich,
erinnert mich an den Gedanken der Resozialisierung im Strafrecht.
15 Jahre für ein Tötungsdelikt sind genug gelitten, gesteht man dem Täter zu.  >:D

Verzeihung
CB

Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

Copper

Re: Volljährig
« Antwort #5 am: Februar 23, 2019, 18:01:05 »
Hallo Gummibaum, Erich und Curd,

danke für Eure Kommentare und Eure Gedanken.

Für mich persönlich ist Abtreibung vorsätzlicher Mord. Das ungeborene Leben, eben Leben das nur noch nicht geboren wurde, kann sich nicht wehren.Dieses Verbrechen ist hinterhältig und grausam. Auch eine gesetzlich angeordnete Hinrichtung ist in meinen Augen vorsätzlicher Mord. Egal was der Mensch verbrochen hat.

LG. Copper.



« Letzte Änderung: M?RZ 01, 2019, 16:45:36 von Copper »

Erich Kykal

Re: Volljährig
« Antwort #6 am: Februar 23, 2019, 21:42:46 »
Hi Copper!

Ich sehe das etwas anders: Für mich beginnt das Lebensrecht eines Fötus mit dem Moment seiner autarken Überlebensfähigkeit. Heute überleben Frühchen mit fünf oder sechs Monaten, mag sein, dass die Medizin hilft, das noch weiter zurückzudatieren. Aber davor ist die Mutter, in welcher das Kind wächst, für mich die alleinig darüber Bestimmende, wie sie damit verfahren will.

Es gibt auch andere Überlegungen: Wie kann man einer vergewaltigten Frau zumuten, das Kind ihres Peinigers auszutragen? Wie einer Frau, die erfährt, dass das Kind schwerstbehindert geboren werden wird und lebenslänglich ein sabberndes Gemüse bleiben wird?

Ich hale nichts von "Designerbabies", die Gentechnik sollte sich darauf beschränken, Erbkrankheiten auszumerzen. Auch dazu lohnt sich die Überlegung einer Abtreibung im Betreffensfall, gerade bei rezessiven Erkrankungen, die eine oder zwei Generationen überspringen.

Undsoweiterundsofort ...

Mord ist für mich die bewusste Tötung eines anderen Bewusstseins, das seiner selbst bewusst ist. Ein Fötus hat das noch nicht. Er ist nur ein Potential, und die Mutter, darin es wächst, muss das Recht haben, darüber zu bestimmen wie über ihren eigenen Körper, schließlich ist der Embryo noch ein Teil davon.
Eine andere Sicht würdigt die Mutter zu einem bloßen "Behälter" herab, dem man kein Selbstbestimmungsrecht zubilligt.

LG, eKy
« Letzte Änderung: Februar 23, 2019, 21:44:59 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Copper

Re: Volljährig
« Antwort #7 am: Februar 23, 2019, 22:21:10 »
Hallo Erich,

Ein Säugling ist auch noch nicht überlebensfähig und sich seiner Selbst nicht bewusst. Der Spruch , mein Bauch gehört mit, ist grundsätzlich falsch. Sobald die Frau ein Leben in sich trägt, gehört der Bauch nicht mehr ihr alleine. Jeder Mensch hat das Recht über seinen eigenen Körper zu bestimmen, solange er durch seine Handlung nicht ein anderes Leben gefährdet oder tötet. Vor und nach der Schwangerschaft gehört der Körper nur der Frau alleine. Während der Schwangerschaft nicht. Das ist das Grundrecht des bereits lebenden Menschen in Ihrem Körper. Soweit ich informiert bin sind sich Wissenschaftler einig. Ab der Zeugung beginnt das Leben. Vielleicht sollten wir unseren Zeugungstag feiern und weniger unseren Geburtstag. Dann wäre uns das Bewusster. Aber der Zeugungstag ist halt schwerer zu bestimmen.

Nichts für ungut. An diesem Theme scheiden sich die Geister. Ich klage mit meinem Gedicht auch nicht die Frau an.Ich wollte nur aufzeigen, dass eine Abtreibung auch zwei Opfer haben kann. Und das meist  sehr oft. Denke ich.

Danke für Deine Gedanken Erich,

LG. Copper
 


 

Sufnus

Re: Volljährig
« Antwort #8 am: Februar 26, 2019, 20:09:39 »
Eindringliche, kunstvoll und wirkmächtig gestaltete Verse, die - wie Curd schon anmerkte - in langsamer Steigerung ein Crescendo der Verzweiflung anstimmen, dabei entfaltet das Gedicht durch die Wortwiederholungen und die kurzen, sehr regelmäßig durchjambisierten Zeilen musikalisch gesprochen eine Gestus "alla marcia funebre"... sehr beeindruckend.
Aber natürlich ist der Inhalt hier nicht getrennt vom Poetischen betrachtbar. Und in diesem Aspekt muss ich einmal direkt an eKy gewandt verkünden: Mein lieber Herr Kykal, ich liebe Dich wirklich sehr!* Es ist wichtig und richtig wenn sich in dieser emotional so aufgeladenen Position ein paar Männer auf die Seite der weiblichen Autonomie schlagen. Ich konzediere allerdings, dass die Diskussion, ab wann, wie lange und in welchem Kontext von Konfliktsituationen der Mensch eine unantastbare Würde besitzt durchaus kompliziert ist und dass es essentiell ist, diese Diskussion mit weitem, mitfühlendem Herzen und sine ira et studio zu führen.

*platonisch
« Letzte Änderung: Februar 27, 2019, 11:44:32 von Sufnus »

Copper

Re: Volljährig
« Antwort #9 am: M?RZ 01, 2019, 16:37:40 »
Hallo Sufnus,

danke für Deine 'Gedanken. Der Trauermarsch ist ein angemessener Vergleich. Ich bin zu 100 % für die Gleichberechtigung und für die Selbstbestimmung der Frau. Ich war selbst 3 Jahre in Erziehungsurlaub. Also zu 100% Hausmann und Vater. Wie schwer es danach ist wieder Fuß zu fassen im Berufsleben habe ich erlebt. Es ist ein Karriereknick, aber es war die schönste Zeit in meinem bisherigen Leben. Ich hätte auch keine Probleme damit, wenn eine Frau meine Vorgesetzte wäre.

Abtreibung hat mit Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Emanzipation nichts zu tun. Es geht alleine um das Leben im Mutterleib. Das kann man nicht einfach wegemanzipieren.

In Deutschland gibt es tatsächlich einen Partei, die den Abtreibungsparagraphen abschaffen möchte. Dann wäre eine Abtreibung ohne zeitliche Begrenzung im Bezug auf die Schwangerschaftswoche möglich.

Das ist die Partei, die Bienen und Schmetterlinge schützt. Was natürlich auch wichtig ist. Auch für uns Menschen.

LG. Copper

 
« Letzte Änderung: M?RZ 01, 2019, 16:53:35 von Copper »

Sufnus

Re: Volljährig
« Antwort #10 am: M?RZ 01, 2019, 17:21:51 »
Hi Copper,

dass Du in der Gleichberechtigung der Geschlechter kein Problem siehst, eine aktive Rolle von Männern bei der Elternschaft, auch auf Kosten der Karriere, vorgelebt hast und Frauen als Vorgesetzte akzeptierst, freut mich zu lesen - ich halte dies alles für eine Grundvoraussetzung, um mit einem Mitmenschen überhaupt zu diskutieren. Wer in einem dieser Punkte anfinge, zu relativieren und rumzueiern, wäre für mich kein Diskussionspartner mehr, sondern ein ideologischer Gegner.

Im Hinblick auf das Leben im Mutterleib erzeugst Du allerdings eine künstliche Schwarz-Weiß-Welt insofern, als Du die Möglichkeit existentieller Konflikte zwischen zwei erstrangigen Gütern (Würde der Mutter und Würde des ungeborenen Kindes) leugnest.

Das ist nicht zielführend, wenn man ein funktionierendes Regelwerk aus den Grundwerten ableiten will. Es ist gerade eine der vornehmsten Aufgaben des Staates, den moralischen Überbau einer Gesellschaft in ein anwendbares Sytem von Regeln zu überführen und dabei kommt es entscheidend auf den Umgang mit Konflikten zwischen zwei oder mehr moralischen Werten an.
 
Es ist wahrscheinlich weniger emotional diskutierbar, wenn wir uns erst einmal in einem anderen Bereich anschauen, was ich genau mit einem Konflikt zwischen zwei Grundwerten meine. Also z. B.: Schutz der Meinungsfreiheit versus Schutz der persönlichen Würde. Ein wichtiger Stützpfeiler der Meinungsfreiheit ist die weitgehende Vermeidung von Zensurmaßnahmen des Staates gegenüber der Presse. Was aber tun, wenn ein Presseorgan herabsetzende und entwürdigende Darstellungen über eine Einzelperson verbreitet? Offensichtlich geraten hier zwei Grundwerte in Konflikt.

Anderes Beispiel: Recht auf körperliche Unversehrtheit versus Schutz der Allgemeinheit. Nehmen wir an, es käme wieder zu einem Ausbruch der Pocken (ich meine jetzt Variola, nicht die Windpocken). Dann stünden die Einführung einer zwangsweisen Abriegelungs-Impfung und Quarantäne-Maßnahmen zur Debatte, um Personen außerhalb des Gebietes des Krankheitsausbruchs zu schützen. Wenn man sich vor Augen führt, dass die Pockenimpfung zu den schlecht verträglichen Impfungen gehörte mit einer nicht ganz vernachlässigbaren Rate problematischer Nebenwirkungen, so ist hier die Entscheidung nicht ganz so trivial zu fällen, wie man zunächst vielleicht denken könnte.

Grundsätzlich gibt es nun bei Konflikten zwischen zwei Grundwerten zwei denkbare Möglichkeiten: Entweder man entscheidet sich, einen der beiden Werte absolut zu setzen, dann kommt der entgegenstehende Wert sozusagen "nicht dagegen an". Oder man versucht, Kompromisslösungen zu finden. Das ist die Menschheits-alte Unterscheidung zwischen fundamentalistischen und relativierenden Positionen. In offenen, demokratischen Gesellschaften ist aufgrund des Systemcharakters dieser Gesellschaftsordnung immer eine Tendenz zu relativierenden Positionen vorhanden. Das halten viele, die in solchen Gesellschaften aufgewachsen sind, für selbstverständlich. Der Blick über den Tellerrand zeigt aber natürlich, dass dem keineswegs so ist und die Dinge durchaus immer im Fluss sind.

Ein sehr schönes Beispiel - um wieder zum eigentlichen Diskussionspunkt zurückzukommen - wird in der Serie (bzw. dem zugrundeliegenden Buch) The Handmaid's Tale (Der Report der Magd) durchgespielt. Gerade die derzeit laufende Serie sollte sich jeder einmal zu Gemüte führen. Hier wird einmal genau (und durchaus differenziert, wie man merkt, wenn man einige Folgen der Serie durchhält) durchgespielt, was passiert, wenn die Zeugung von Kindern als absoluter Wert (im oben skizzierten fundamentalistischen Sinne) einer Gesellschaft definiert wird. Der fiktive Hintergrund ist, dass Kinder in der dystopischen Serienwelt durch eine drastische Reduktion der Zeugungsfähigkeit von Frauen zur absoluten Mangelware wurden (in weit stärkerem Maße als dies in Industrienationen heute der Fall ist).

Ich würde sehr dafür plädieren, nein ich würde vehement fordern, dass der Schutz des ungeborenen Lebens zwar als grundlegender, aber gegenüber anderen Werten eben nicht absolut priorisierter (fundamentalistischer) Wert zu definieren ist, so dass man Konflikte mit anderen Werten "aushalten" muss und dann dafür (je nach Standpunkt mehr oder weniger rigide) Lösungsansätze vorschlagen kann.

VG,

S.

Copper

Re: Volljährig
« Antwort #11 am: M?RZ 01, 2019, 20:17:15 »
Hallo Sufnus,

danke für deine ausführliche Darlegung. Wie ich bereits schon geschrieben habe ist es ein heikles und sensibles Thema. Deine Darlegungen sind für mich nachvollziehbar. Aber wegen  meiner Grundeinstellung zu diesem  Thema , nämlich der Schutz des ungeborenen Lebens, fehlt es mir im Moment noch an Kompromissbereitschaft.

Jedoch sehe ich ein, eine funktionierende und einigermaßen gerechte Lösung ist ohne Kompromiss nicht möglich. Wie immer bei unterschiedlichen Interessen in einer funktionierenden Demokratie.

LG. Copper
« Letzte Änderung: M?RZ 01, 2019, 20:20:16 von Copper »

Sufnus

Re: Volljährig
« Antwort #12 am: M?RZ 05, 2019, 09:43:08 »
Hallo Copper!
Vielen Dank für Deine Antwort, die mich sehr froh stimmt! :) Ich glaube zutiefst an das Prinzip des Diskurses und Selbiger lebt nun einmal auch von pointierten Positionen - insofern ist Deine sehr klare Einstellung für jede Diskussion dieses schwierigen Themas überaus wertvoll. Demokratische Dikussionskultur darf weder mit einem Wohlfühlwischiwaschi verwechselt werden, noch mit unsachlichen Krachdebatten, wo es darum geht, wer am lautesten schreit. Und natürlich muss immer eine gemeinsame Basis vorhanden sein.
Lg!
S.