Autor Thema: Aufrauschen  (Gelesen 4448 mal)

Erich Kykal

Aufrauschen
« am: April 03, 2013, 18:54:48 »
Wenn du erkennen willst, wozu wir treiben
auf dieses Lebens zügellosem Strome,
so schau ins Land vom allerhöchsten Dome,
steig in die Keller mit dem Saft der Reben,
und dein Ermessen wird das gleiche bleiben:
Der Ort erlebt sich erst durch dein Erleben.

Was suchst du tiefern Sinn in allen Dingen,
anstatt sie zu genießen für dein Sein!
Der Sinn verliert sich und lässt dich allein,
und du wirst alt und kanntest nie das Leben.
So kann dir kaum ein guter Tag gelingen,
so wird es kein versöhntes Ende geben.

Nur wer sich fühlt in allem, was er achtet,
wird endlich mit dem Wesentlichen eins,
ist ledig allen Schattenfalls und Scheins,
der sich der Wollenden so leicht bemächtigt.
Nur wer ins Bild steigt und sich mit betrachtet,
erkennt darin, was seinen Glanz berechtigt.

So gib dich hin an dieses Frohverlangen,
das dir die lichtern Wege freundlich weist,
und wenn dein Sinnen wieder freudlos kreist,
umarme in Gedanken deine Schmerzen -
und alle Lieder, die dir tonlos klangen,
sie rauschen auf wie ein Gesang im Herzen!
« Letzte Änderung: April 03, 2013, 19:43:06 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Aufrauschen
« Antwort #1 am: April 03, 2013, 19:33:20 »
Lieber Erich -


was wäre meine Welt ohne Deine Gedichte!
Jeder Vers, jedes wohlgelungene Wort spricht mir aus dem Herzen.
Ich will mich nicht immer wiederholen, aber

Du verleihst dem Leben Glanz.

Herzlichen Gruß
von
Cyparis









.
zwischen mit und betrachtet hätte ich keine Lücke gelassen.
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Daisy

Re:Aufrauschen
« Antwort #2 am: April 03, 2013, 21:35:38 »
Hallo Erich,

schon die erste Strophe ist ein unglaubliches Erlebnis!

Wenn man anfängt zu lesen, will man immer mehr davon
und wird bis zum Schluss nicht enttäuscht.
Deine schöpferische Ader ist wie eine nie versiegende Quelle,
die immer wieder neue Kostbarkeiten zu Tage fördert.

Diese Vielfalt ist berauschend!

LG Daisy

Erich Kykal

Re:Aufrauschen
« Antwort #3 am: April 04, 2013, 13:06:59 »
Hi, ihr beiden!

Danke für euren treuen Zuspruch!

Hier habe ich im Grunde lauter Sonettterzette zusammengefasst: Jede Strophe besteht aus 2 Terzetten wie am Ende eines Sonetts, bloß ohne Leerzeile. Reimschema ABBCAC.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Copper

Re: Aufrauschen
« Antwort #4 am: Februar 16, 2016, 11:59:16 »
Hallo Erich,

kann mich nicht zurückhalten dieses etwas ältere Werk zu kommentieren.

Ein Meisterwerk für die Gegenwart und für die Nachwelt. Höchste Schreibkunst.

Mehr will ich nicht schreiben. Das musste ich los werden.

LG. Copper.

Aspasia

  • Gast
Re: Aufrauschen
« Antwort #5 am: Februar 16, 2016, 12:32:57 »
Gut, dass Copper dieses ältere Gedicht an die Oberfläche zurückgeholt hat, sonst wäre es mir entgangen.

Großartig in jeder Beziehung, bestechend in der Wortwahl!

Liebe Grüße
Aspasia

Erich Kykal

Re: Aufrauschen
« Antwort #6 am: Februar 16, 2016, 13:47:12 »
Hi, Copper, Aspasia!

Seltsam, wie Texte oft empfunden werden. Ich übernahm diesen hier nicht mal in mein letztes Buch ("Tiefgänger"), weil er mir zu pathetisch und belehrend erschien. Aus meiner Sicht ist er bestenfalls lyrischer Durchschnitt.

Aber schön, wenn das jemand anders sieht! Ich freue mich immer, wenn ich jemanden wirklich erreichen und berühren kann mit meinen Zeilen. Vielleicht schaffen diese es nun sogar ins übernächste Buch, sollte ich bis dahin nicht genug beisammen haben. (Nicht ins nächste Buch, denn dort wird es wieder ausschließlich Bildersonette geben, so wie im Buch "Seltsame Sonette", das auch hier unter gleichem Namen zu lesen steht. Ich arbeite gerade daran: "Lautere Lyrik")

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Copper

Re: Aufrauschen
« Antwort #7 am: Februar 16, 2016, 14:36:25 »
Hallo Erich,

du misst mit einem strengeren Maßstab. Dieses Werk sollte veröffentlicht werden. Ich bestehe darauf !!!  :) smile.

vielleicht bei Deinem übernächsten Buch, nach Tiefgänger vielleicht als Titel: Draufgänger.

 " Der Ort erlebt sich erst durch dein Erleben" Wunderschöner Satz ( passt zum Draufgänger)
Ist nur scherzhaft gemeint. Aber in jedem Scherz steckt auch ein bisserl Ernst.

LG. Copper

Aspasia

  • Gast
Re: Aufrauschen
« Antwort #8 am: Februar 16, 2016, 17:08:41 »
Seltsam, wie Texte oft empfunden werden. Ich übernahm diesen hier nicht mal in mein letztes Buch ("Tiefgänger"), weil er mir zu pathetisch und belehrend erschien. Aus meiner Sicht ist er bestenfalls lyrischer Durchschnitt.

Lieber Erich,

belehrend ist Dein Gedicht in keiner Weise, denn es fehlen der erhobene Zeigefinger und der mahnende Ton. Zu mir kommt es eher als die Reflexion eines weisen, erfahrenen Menschen rüber, der seine Lebenserkenntnisse teilen will. Auch kann von lyrischem Durchschnitt nicht die Rede sein. Deine Sprachgewandtheit reicht weit über das Mittelmaß hinaus.

LG
Aspasia


Curd Belesos

Re: Aufrauschen
« Antwort #9 am: M?RZ 02, 2016, 23:31:21 »
Aus meiner Sicht ist er bestenfalls lyrischer Durchschnitt.

moin moin Erich,

deine Bescheidenheit mag dich vielleicht ehren, aber dein Können macht es mit Gewissheit.

Zitat
Was suchst du tiefern Sinn in allen Dingen,
anstatt sie zu genießen für dein Sein!
Der Sinn verliert sich und lässt dich allein,
und du wirst alt und kanntest nie das Leben.
So kann dir kaum ein guter Tag gelingen,
so wird es kein versöhntes Ende geben.

Das ist es, warum ich dich bewundere, nicht beneide, denn deine Gabe ist eine Gnade.

LG
CB


Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

Erich Kykal

Re: Aufrauschen
« Antwort #10 am: M?RZ 03, 2016, 18:57:14 »
Copper, Aspasia, Curd!

Vielen Dank für den Zuspruch und die Überzeugungsarbeit. Es sei - Das Gedicht kommt ins übernächste Buch (2020).

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Aufrauschen
« Antwort #11 am: M?RZ 06, 2016, 10:07:22 »
Eine gute, weise Empfehlung, den Sinn des Lebens im Erleben des Wesentlichen zu finden. Nicht das Schöne nur, auch das vordergründig Schlechte ("umarme in Gedanken deine Schmerzen-") gehört dazu. Ich kann dem voll und ganz zustimmen, lieber Erich.

Sehr, sehr gern gelesen.

LG gummibaum

Erich Kykal

Re: Aufrauschen
« Antwort #12 am: M?RZ 06, 2016, 11:02:47 »
Hi, Gum!

Die im Gedicht beschriebene Sicht ist in Grundzügen buddhistisch, wenn ich nicht irre. Ich allerdings erlangte diese Einsicht, bevor ich mit jenem Gedankengut in Kontakt kam. Ich lernte (bitter), dass man sich nur entzweit, wenn man seine ungeliebte "Seite" unterdrückt und leugnet. Sie gehört auch zu einem wie jedes lebenswichtige Organ. Nur wenn man sie "ins Boot holt", sie anerkennt und respektiert, kann man sie "erziehen", zügeln, kanalisieren und letztlich positiv nutzen.
Die "Leugner" ihrer "bösen" Seite zerreißen sich, und ihr Negatives oder Triebhaftes schwärt in ihnen wie ein Geschwür - irgendwann platzt es auf und vergiftet alles! Dann laufen sie Amok, morden oder vergewaltigen, werden Terroristen oder religiöse Irre. Hinterher (falls sie überleben) sind sie innerlich voller Reue, denn das waren ja eigentlich "nicht sie selbst"! ::) Ach, verstünden die Menschen doch mehr von sich - es bliebe der Welt viel Weh erspart!
Anders Psychopathen: Sie haben einfach kein Mitgefühl, empfinden nichts für andere, benutzen Menschen, wie es ihnen passt, wenn man sie lässt (in der Wirtschaft oder der Politik). Sie unterscheiden nicht zwischen "Gut" und "Böse", sie haben nur Ziele und eine Idee, wie sie diese am effektivsten erreichen.


LG, eKy
« Letzte Änderung: September 12, 2021, 12:48:22 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Aufrauschen
« Antwort #13 am: M?RZ 06, 2016, 11:14:26 »
Ja, das stimmt alles. Mein Gedichtchen "Gib" ist der Auffrischung dieses Gedankens spontan entsprungen.

LG g 

a.c.larin

Re: Aufrauschen
« Antwort #14 am: M?RZ 13, 2016, 09:06:14 »
Lieber Erich,

ich finde dein Gedicht geradezu philosophisch genial (überhaupt nach meiner jüngsten "Extratour")
Kann gar nicht verstehn, was du daran auszusetzen hättest.
Es fängt schon hier an:

Der Ort erlebt sich erst durch dein Erleben.

Wie wahr, wie wahr! Das Universum hat nur unsere Augen, um sich selbst zu betrachten!
Wenn man die Evolution als Ganzes betrachtet, könnte man doch glatt auf die Idee kommen, dass dieses Sich-Selbst-Betrachten der "Sinn" der ganze Sache sein könnte. Jedenfalls geht die Entwicklung hin zu immer größerer Differenzierung / Bewusstheit. Vielleicht auch nur, weil es , evolutionstechnisch gesehen, Vorteile brachte - aber welcher Vorteil könnte das dann sein?

Den gibst du in Strophe 3 an:

Nur wer sich fühlt in allem, was er achtet,
wird endlich mit dem Wesentlichen eins,


Oh wie wahr, ich kanns wieder nur bestätigen!

Wie hieß das noch bei Rilke? : "Ich finde dich in allen jenen Dingen, denen ich gut und wie ein Bruder bin."
Er hätte auch "mich" einsetzen können: Ich finde mich in allen diesen Dingen, denen ich gut und wie ein Bruder bin.

Was jemand in einer Situation zu finden meint, hat sehr viel mit ihm selber zu tun.
Das eigene  Gehirn ist der Projekor, der den inneren Film nach außen projiziert.
In der wissenschaftlichen Forschung weiß man das bereits: "Das Beobachtete sagt mehr aus über den Beobachter als über das Beobachtete!


Und deine Conclusio erstaunt mich zutiefst, ( weil das so von dir kommt, hätte ich gar nicht gedacht),
aber ich unterschreibe es sofort:

So gib dich hin an dieses Frohverlangen,
das dir die lichtern Wege freundlich weist,
und wenn dein Sinnen wieder freudlos kreist,
umarme in Gedanken deine Schmerzen -
und alle Lieder, die dir tonlos klangen,
sie rauschen auf wie ein Gesang im Herzen!



Besonders diese Zeile hat es mir angetan:

Umarme in Gedanken deine Schmerzen.

So, denke ich, kommt man durch den Schatten - zumindest kapituliert man nicht vor ihm.

Ein starkes Stück Lyrik, lieber Erich,
du solltest es hochhalten, nicht verwerfen!

Liebe Grüße, larin
« Letzte Änderung: M?RZ 13, 2016, 09:11:33 von a.c.larin »